30 bis nahezu 90 Prozent der
Bundesbürger verlassen den Rahmen der Schulmedizin gelegentlich und
vertrauen sich anderen Heilverfahren an, die Hälfte der Bevölkerung wendet
regelmäßig ,,Naturheilmittel" an. Diese Zahlenangaben sind sehr breit
gestreut, weil jeder unter ,,Naturheilmitteln" etwas anderes versteht. In
den USA wird nach einer Studie davon ausgegangen, dass 40% aller Menschen
in jedem Jahr alternative Heilmethoden nutzen
www.landmarkhealthcare.com
(Umfrage bei 1500 Haushalten Januar 2001).
Die Zahlen sind allerdings sehr
widersprüchlich. Während Schätzungen bisher davon ausgingen, dass 10-15%
aller amerikanischen Kinder zumindest zusätzlich mit alternativen
Heilmethoden behandlelt werden, traf die nach einer neuen Untersuchung an
6262 repräsentativ ausgewählten Kindern tatsächlich nur für 1,6% der
Kinder zu. Überwiegend hatten diese Kinder wie zu erwarten Eltern, sie
sich auch alternativmedizinisch behandeln ließen.
Matthew P. Davis,
Arch Pediatr Adolesc Med. 2003;157:393-396
Eine andere Untersuchung geht
allerdings davon aus, dass die Besuche bei alternativen Heilern in den USA
inzwischen häufiger sind als bei den Hausärzten und von 427 Millionen 1990
auf 629 Millionen Besuche 1997 angestiegen sind. 15 Millionen erwachsene
US- Amerikaner schlucken Heilkräuter oder hochdosierte Vitamine. $21.2
Milliarden Dollar sollen sich die US- Amerikaner 1997 die
alternativmedizinische Behandlung mindestens haben kosten lassen, mehr als
alle Kosten für Krankenhausaufenthalte die US- Amerikaner aus eigener
Tasche bezahlen mussten. Eisenberg
JAMA. 1998;280:1569-1575.
Die meisten Patienten geben an, dass sie sich von
der Alternativmedizin eine Unterstützung und Ergänzung der sonstigen
Behandlung erwarten, eine Stärkung ihres Immunsystems und geringe
Nebenwirkungen erhoffen. Nicht zuletzt bewegt sie der Wunsch, aktiv an
ihrer Gesundung mitwirken zu können. In Deutschland und Österreich ist die
Zahl der unter dem Begriff ,,Naturheilmethoden" angebotenen Heilverfahren
besonders groß. Einige haben sich hierzulande entwickelt und weit
verbreitet, andere sind nur regional bekannt. Manche Verfahren beruhen auf
Traditionen aus dem fernen Osten, andere stammen ursprünglich aus den USA.
Als klassische Naturheilverfahren werden hier solche bezeichnet, die sich
natürlicher Mittel bedienen, sich seit langem bewährt haben und deren
Wirksamkeit erwiesen ist. Sie sind von der naturwissenschaftlichen Medizin
anerkannt. Als ,,unkonventionell" werden solche Heilmethoden eingestuft,
die wissenschaftlich (noch) nicht oder nicht mehr anerkannt sind. Dass
immer wieder über Heilerfolge mit diesen Verfahren berichtet wird, reicht
nicht aus, um sie generell zu akzeptieren: Als wirkungsvoll gilt eine
Methode dann, wenn ihre Wirksamkeit eindeutig nachgewiesen ist. In der
Medizin wird das dann angenommen, wenn ein Verfahren bei einer ausreichend
großen Anzahl von Patienten einen eindeutigen Heilerfolg gebracht hat und
dieses Ergebnis in zwei weiteren unabhängigen Studien wiederholt werden
konnte. Die Geschichte der Medizin ist reich, nicht nur an tragischen
Gestalten von größter Bedeutung, sondern auch, wie unzählige Beispiele
lehren, an Scharlatanen, die viel Schaden angerichtet haben. Natürlich ist
auch nicht alles was die" Schulmedizin" bisher anzubieten hat wirklich gut
abgesichert. Die Klage des Psychiaters E. Bleuler aus dem Jahre
1919 "Wir behandeln immer noch Menschen mit Mitteln, von denen wir keine
Beweise haben, dass sie überhaupt nützen, ja nicht einmal, daß sie nichts
schaden;" hat immer noch ihre Begründung.1
Ein wesentlicher Impetus für die Etablierung der klinischen Pharmakologie,
ebenso aber auch für die Gründung der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft, war die Überzeugung, daß es ein erhebliches Defizit an
Rationalität in der tatsächlich praktizierten Medizin gibt1.
Eine weitere ausführliche Stellungnahme der Arzneimittelkommision
der deutschen Ärzteschaft :
Außerhalb der wissenschaftlichen Medizin
stehende Methoden der Arzneitherapie von
Prof. Dr. med. Knut-Olaf Haustein, Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Prof.
Dr. med. Rainer Lasek
Das ist die Geschicht' von des geizigen Doktors Pillen,
womit er wollt künstlich den Hunger stillen;
Woraus die Lehre geht:
Glaub nicht alles, was in der Zeitung steht.
Wilhelm Busch, Die Hungerpille
Eisenberg DM, Davis RB, Ettner
SL, et al. Trends in alternative medicine use in the United States,
1990-1997: results of a follow-up national survey. JAMA.
1998;280:1569-1575.
ABSTRACT/FULL TEXT
Matthew P. Davis, MD; Paul M. Darden, MD Use of Complementary and
Alternative Medicine by Children in the United States
Arch Pediatr Adolesc Med. 2003;157:393-396
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Besonders gut dargestellt wird
die Problematik hinter einem Teil der Alternativmdizin literarisch
in " Knock ou le triomphe de la medicine"Fabel: Knock übernimmt in dem
Gebirgsort St Moritz die bisher wenig ertragreiche Praxis Dr. Parplaids
und verwandelt sie in kürzester Zeit in einen florierenden
Krankenhausbetrieb mit ausnahmslos glücklichen Patienten. Der erste Akt
skizziert Knocks medizinischen Werdegang und erzeugt durch mysteriöse
Anspielungen auf seine befremdliche Berufsauffassung wachsende Spannung.Im
zweiten Akt wird Knocks therapeutische Methode vorgeführt, die dank genau
berechnender Psychologie eigentlich gesunden Menschen das Gefühl des
Krankseins vermittelt. Der abschließende dritte Akt demonstriert den
Erfolg dieser Methode in den enthusiastischen Kommentaren einiger Bewohner
des Städtchens. In Form von Wortgefechten, Überredungsmanövern und
"Seelenmassagen" werden die Praktiken eines Berufsstandes parodiert, der
umgeben von der Aura einer oftmals angemaßten und hohlen Würde immer
wieder die Satiriker herausforderte. Nach Kindlers Literaturlexikon, Bd.
IV p 585 f (auszugsweise).
Dieses Dr. Knock- Syndrom ist
bedauerlicherweise auch der Hintergrund vieler Verfahren auf dem grauen
Gesundheitsmarkt.
Nicht unerhebliche Nebenwirkungen
haben die Verfahren oft an sich. Schlimmer ist oft, dass notwendige
Diagnosenstellungen verzögert werden und notwendige Behandlungen
unterbleiben mit bedauerlicherweise oft negativen Folgen im besten Fall im
Sinne einer Chronifizierung.
Auch Vitamine sind als
Arzneimittel nicht immer unbedenklich und oft gerade bei der Indikation
für die sie angeboten werden schädlich z.B.: Das Bundesinstitut für
gesundlheitlichen Verbraucherschutz (BgVV) empfiehlt z.B. in seinem
Pressedienst 02/98, 30. Januar 1998 Rauchern auf
Beta-Carotin-haltige Präparate zu verzichten. Viele Raucher sind sich des
schädlichen Einflusses des Rauchens bewusst und versuchen, ihr
gesundheitliches Risiko durch die Zufuhr von Vitaminpräparaten zu mindern,
denen eine Schutzfunktion zugeschrieben wird. Für Provitamin A bzw.
Beta-Carotin haben wissenschaftliche Untersuchungen diese Erwartung nicht
bestätigt. Bei Rauchern, die definierte Dosen von Beta-Carotin über
längere Zeit erhielten, war die Häufigkeit von Lungenkrebs und Todesfällen
im Zusammenhang mit Erkrankungen des Herzkreislaufsystems sogar erhöht.
Das BgVV empfiehlt Rauchern deshalb, auf den Verzehr von
Beta-Carotin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, Vitaminpräparaten und
Getränken, die mit Beta-Carotin angereichert sind, zu verzichten. Die
hierin enthaltenen Beta-Carotin-Mengen kommen den Dosierungen nahe, die in
Verbindung mit dem Rauchen negative Wirkungen provozierten.
Ähnlich warnt z.B. das
Arzneitelegramm diesen Sommer (99) vor der Einnahme von Schöllkraut, das
als Heilmittel gegen Leber und Gallenbeschwerden angeboten wird. Es steht
im Verdacht schwere Leberschäden auszulösen.
Selbstverständlich gibt es
ähnliches wie in den letzten beiden Beispielen auch in der Schulmedizin.
Die Überwachung dort ist besser, die Überprüfung seriöser und was ins
Gerede kommt, kommt dort meist schnell vom Markt. Nehmen Sie nur ärztlich
verordnete Medikamente, dann haben Sie im Vergleich zu dubiosen Angeboten
auf dem grauen Gesundheitsmarkt eine wesentlich höhere Sicherheit. Die
elektrische Leitungen Ihres Hauses werden Sie auch von einem Elektriker
und nicht von einem ihnen nicht bekannten Menschen dessen Qualifikation
Sie nicht kennen einbauen lassen.
Unwissenschaftliche Verfahren in der Medizin
(Auszug aus J. Köbberling:
Der Wissenschaft verpflichtet Med. Klin. 92 (1997), 181 189 (Nr. 4)
URBAN & VOGEL MÜNCHEN 1997
Neben der Medizin, wie sie als ernsthafte und wissenschaftlich
überprüfbare Heilkunde an den Hochschulen gelehrt und überall von
verantwortungsvollen Ärztinnen und Ärzten ausgeübt wird, gibt es eine
Vielzahl diagnostischer und therapeutischer Verfahren, die unter
verschiedenen Begriffen zusammengefaßt werden, um sie von der eigentlichen
Medizin abzugrenzen. In früheren Jahren war der negativ besetzte Begriff
"Kurpfuscherei" verbreitet, heute heißt es häufig vornehmer
"unkonventionelle medizinische Verfahren". Zunehmend findet man die
positiv besetzten Begriffe "Alternativmedizin" oder ganz modern und
vermeintlich aufgeklärt "Komplementärmedizin". Aus verschiedenen Gründen
verwende ich den Begriff Paramedizin, womit alle Verfahren zusammengefaßt
sein sollen, die außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehen.
Die Liste der unter Paramedizin zusammenzufassenden Verfahren ist groß.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit darf ich einige der therapeutischen
Verfahren nennen: Zellulartherapie, Ozontherapie, Chelattherapie,
Eigenblut- und Eigenharnbehandlung, Symbioselenkung, Magnetfeldtherapie,
Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie, Ganzheits-Zellregenerationstherapie,
Bioresonanztherapie, Bachsche Blütentherapie sowie Homöopathie und
anthroposophische Medizin. Nicht weniger vielfältig sind die
diagnostischen Verfahren wie Iris-, Zungen- oder Ohrmuscheldiagnostik, die
verbreitete Elektroakupunktur nach Voll in verschiedenen Varianten, die
sogenannte Decoderdermografie, die Anthroposkopie, die
Thermoregulationsdiagnostik, der sogenannte Kristallisationstest, der
kapillardynamische oder der holistische Bluttest, bis hin zur Anwendung
von Detektoren für Erdstrahlen.
Zwischen den Verfahren gibt es eine Abstufung ihrer Plausibilität, aber
allen genannten Verfahren ist gemeinsam, dass sie keine überprüfbaren
diagnostischen Ergebnisse liefern und keine überprüfbare therapeutische
Wirksamkeit besitzen. Drei therapeutische Verfahren, die Phytotherapie,
die Homöopathie und die Anthroposophie, nehmen eine gewisse Sonderstellung
ein. Die beiden letztgenannten unterscheiden sich nicht prinzipiell in
ihrer Qualität von anderen paramedizinischen Verfahren. Sie haben aber die
Ehre, gemeinsam mit der Phytotherapie im Arzneimittelgesetz als "besondere
Therapierichtungen" genannt und bevorzugt behandelt zu werden. Im
Gegensatz zu anderen Medikamenten bedürfen die Therapeutika dieser
Verfahren keiner Zulassung mit Wirksamkeitsnachweis, zur Registrierung
genügt die Vorlage von einfachem sogenannten Erkenntnismaterial nach der
Art "wir haben nur Gutes gesehen." Wegen dieser herausgehobenen Stellung
sollen die Besonderheiten paramedizinischer Therapieverfahren exemplarisch
an ihnen dargelegt werden.
Die Phytotherapie (Therapie mit pflanzlichen Arzneimitteln) ist die
älteste unter den "besonderen Therapierichtungen", und es fällt etwas
schwerer, sie der Paramedizin zuzuordnen, ist sie doch die Mutter der
gesamten heutigen Pharmakotherapie. Sie selbst hat sich aber durch
besondere Glaubenssätze zumindest in die Nähe zur Paramedizin gebracht. Es
kann gar nicht genug betont werden, welch ein großer medizinischer
Fortschritt in dem Wandel vom Naturprodukt zum definierten medizinischen
Präparat liegt, auch wenn das eigentliche Wirkprinzip bereits im
Naturprodukt vorhanden war. Was könnte es dann aber für Gründe geben,
wieder mehrere Schritte zurückzugehen und neben der modernen
Pharmakotherapie, die natürlich viele Pflanzenstoffe in ihr Repertoire
aufgenommen hat, sich wieder der Phytotherapie zuzuwenden und diese als
eigenständige Therapierichtung zu betreiben? Der Hauptgrund liegt darin,
dass man eine Berechtigung sucht, auf übliche Prüfungen der Wirksamkeit
und der Unbedenklichkeit verzichten zu dürfen. Man möchte ganz bewusst den
Glauben bewahren, pflanzliche Substanzen seien immer gut. Man grenzt sich
deswegen bewusst von der angstbesetzten Chemie ab und verwendet Begriffe
wie "Apotheke Gottes". Gerade diese Ansicht ist aber falsch. Der Anteil
schädlicher und möglicher krebserzeugender Substanzen unter den
pflanzlichen Inhaltsstoffen ist nicht geringer als unter synthetisierten
Chemikalien. Erstaunlich ist, dass bei mehr als 100 000 Toten durch
Rauchen pro Jahr vergessen wird, dass Tabak wie Alkohol, Heroin, Kokain
usw. reine Naturprodukte sind. Alle diese Drogen galten zunächst auch als
harmlose und zugleich wirkungsvolle Naturheilmittel. Zitat:"Alkohol
galt in der Medizingeschichte als eines der beliebtesten Heilmittel.
Wegweisende Autoritäten der Medizin (zum Beispiel Arnald von Villanova,
13. Jahrhundert) priesen das „aqua vitae“ (Lebenswasser) als
Universalheilmittel, das als „ens subtile“ (flüchtiges Wesen), „ros solis“
(Sonnentau), „balsamus universalis“ oder zu deutsch „Branntwein“ für die
alchimistische Bewegung und ihre Ausläufer bis an die Schwelle der Moderne
ein Faszinosum darstellte. Diese Einstellung reicht bis weit ins 19.
Jahrhundert hinein. Hier galt Alkohol (Wein, Bier) vor allem in Verbindung
mit dem „Brownianismus“, dem um 1800 weitverbreiteten Heilsystem von John
Brown, als therapeutisches Stärkungs- und Anregungsmittel bei
„asthenischen Krankheiten“ (zum Beispiel Hypochondrie, Melancholie) –
neben Elektrizität, Gewürzen, heißen Getränken. So erschien Alkohol
noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ein „Remedium
analepticum“, als wertvolles Erregungsmittel gegen Schwächezustände, das
zum Beispiel in einem pharmakologischen Lehrbuch von 1868 zusammen mit dem
Äther neben Kampfer und Moschus unter den „Remedia excitantia“ aufgeführt
wurde. Selbst bei der Kneipp-Kur des ausgehenden 19. Jahrhunderts war das
(mäßige) Biertrinken keineswegs verboten und in ärztlichen
Diätempfehlungen, zum Beispiel bei koronarer Herzerkrankung, spielt der
Rotwein bis heute eine gewisse Rolle. Als Kaffee und Tabak in der frühen
Neuzeit in Europa importiert wurden, galten sie zunächst als harmlose
Genussmittel, die dann vielfach auch als Heilmittel angewandt wurden. Erst
später problematisierte man die gesundheitlichen Gefahren, die mit ihrem
unmäßigen Konsum verbunden waren, und es entwickelte sich jene ambivalente
Einstellung, die auch gegenüber dem Alkohol bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein vorherrschte." Ein Grund für unsere heutigen großen Probleme mit
dem Alkohol ist sicherlich in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zu
suchen, wo der Alkohol immer wieder als reinste Wunderdroge und
Lebensmittel per se (als „geist“, „spiritus“ et cetera) verehrt wurde.
Dies ist offenbar ein im kulturellen Gedächtnis verankerter Glaube oder
Aberglaube, der bis heute trotz aller gesundheits- und sozialpolitischen
Aufklärungskampagnen dem Alkoholismus insgeheim immer noch eine gewisse
ideologische Stütze bietet.
Schott, Prof. Dr. med. Dr. phil.
Heinz Serie - Alkoholismus: Das
Alkoholproblem in der Medizingeschichte,
Deutsches Ärzteblatt 98, Heft 30 vom 27.07.01,
Seite A-1958
PDF Heroin
galt bei seiner Erfindung als ein harmloses Mittel mit dem man ohne Risiko
die Morphinsucht bekämpfen könne.
Noch eindeutiger ist die Situation bei der Homöopathie. Für die gläubigen
Anhänger dieser Therapieform existiert eine Art Bibel der reinen Lehre,
nämlich Hahnemanns Organon. Hahnemann hat vor 200 Jahren ein in sich
geschlossenes und von ihm selbst als definitiv erachtetes Lehrgebäude
errichtet. Solche geschlossenen Systeme, so unsinnig sie auch sind, üben
eine gewisse Faszination auf manche Menschen aus. So haben es die
Vertreter dieser Lehre geschafft, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck
entstanden ist, hier sei eine ernsthafte Alternative zur Medizin zu
finden, eine Auffassung, die nicht selten auch von sonst kritischen und in
anderen Bereichen vernünftigen Menschen geteilt wird. Weder der bekannte
Ähnlichkeitssatz noch die Potenzierung durch Verdünnen, die häufig zu
Präparationen führt, in denen nachweislich außer dem Verdünnungsmittel
keine Substanz enthalten ist, sind in irgendeiner Weise wissenschaftlich
belegt. Erfolgsberichte über homöopathische Heilungen betreffen nie
größere Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten, sondern bestehen aus
einzelnen Fallbeschreibungen. Fallbeschreibungen entziehen sich aber der
Falsifikationsmöglichkeit (Widerlegbarkeit in wissenschaftlichen
Untersuchungen), sie sind prinzipiell wahr.
Bei der dritten staatlich privilegierten paramedizinischen Therapieform,
der Anthroposophie, nimmt Rudolf Steiner ungefähr die gleiche Stellung ein
wie Hahnemann bei den Homöopathen. Es handelt sich um ein Lehrgebäude mit
einer Mischung verschiedener anderer Therapieverfahren und eigenständiger
Ideen von Steiner. So finden sich Züge der Phytotherapie, etwa bei der
Anwendung von Mistelextrakten, andererseits werden aber auch anorganische
Stoffe angewendet, wie Quecksilber und Blei in zum Teil erschreckend hohen
Dosierungen. Alles wird durch die sogenannte anthroposophische Wesens- und
Bedeutungslehre zusammengehalten, bei der auch Edelsteine und Gestirne in
das Gesamtkonzept einbezogen werden. Auch quasi religiöse Vorstellungen
und teilweise antisemitische Ansichten stören hier offensichtlich selbst
akademische Kunden wenig.
Auch bei den sehr verbreiteten paramedizinischen Diagnoseverfahren gibt es
keine systematischen Untersuchungen über die Richtigkeit der Hypothesen,
die ihnen zugrunde liegen. Man muss sich deshalb fragen, wie es kommt,
dass solche häufig schon vom Primäreindruck völlig unplausible Methoden
eine derartige Verbreitung erfahren haben. Die Methoden sind meistens so
ausgelegt, daß die Erwartungen sich immer erfüllen müssen. Die
diagnostizierenden Ärzte fühlen sich, da externe Qualitätsmerkmale fehlen,
immer wieder selbst bestätigt. Sehr verbreitet ist der Begriff
"Alternativmedizin", der suggeriert, dass neben der bestehenden und
wissenschaftlich erprobten Medizin tatsächlich eine Alternative bestehe.
Diese Alternative besteht aber nur in dem erklärten Verzicht auf
wissenschaftliche Methodik und alle für die eigentliche Medizin gültigen
Qualitätsstandards. Irreführend ist auch der Begriff "Ganzheitsmedizin",
der suggeriert, dass die wissenschaftliche Medizin nicht ganzheitlich sei.
Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Medizin unter der
Faszination des technisch Machbaren die psychischen und sozialen Probleme
der Patienten vernachlässige. Soweit derartige Defizite in der
wissenschaftlichen Medizin bestehen, müssen sie aufgearbeitet und
beseitigt werden. Hierfür bedarf es aber keiner neuen Definition.
Auch der Begriff "Erfahrungsmedizin" stellt eine tendenziöse Neudefinition
dar. Zweifellos beruht die wissenschaftliche Medizin in weiten Teilen auf
Erfahrung. Es darf aber nicht übersehen werden, dass es verschiedene
Qualitäten der Erfahrung gibt. Dabei ist die strukturierte Erfahrung
deutlich höher einzustufen als alle anderen Formen von Erfahrung. Die
paramedizinischen Methoden haben sich aber bisher fast ausschließlich der
unstrukturierten Erfahrung bedient. Mit der Verwendung des Begriffes
Erfahrungsmedizin soll häufig ausgedrückt werden, warum die hier
eingeordneten Methoden sich nicht mit den üblichen wissenschaftlichen
Verfahren oder sogar überhaupt nicht prüfen lassen.
Nach einem ähnlichen Schema wurde der Begriff "Naturheilkunde" eingeführt.
Die Verwendung des Wortes Natur dient allein zur Durchsetzung besonderer
Rechte, zum Beispiel in der Arzneimittelzulassung. In Wirklichkeit handelt
es sich um einen inhaltlich leeren Begriff, der jedoch so erfolgreich
verwendet werden kann, dass er schlichtweg auf den gesamten Bereich der
Paramedizin erweitert wird. Dabei wird übersehen, dass gerade viele
paramedizinische Therapieverfahren in hohem Maße "künstlich" und zum Teil
technisch sehr aufwendig sind und sich weit von der Natur entfernt haben.
Auch bei diagnostischen Verfahren der Paramedizin, die ebenfalls unter
Naturheilkunde subsumiert werden, werden häufig besonders aufwendige
technische Pseudovorrichtungen verwendet, offenbar weil neben dem Begriff
"Natur" gleichzeitig die Faszination der Technik für den gewünschten
Erfolg mit herangezogen werden soll. Ganz Analoges lässt sich zum Begriff
"biologische Medizin" sagen. Begriffliche Unschärfe ähnlicher Qualität,
die ausschließlich für ein bestimmtes Ziel instrumentalisiert wird, kommt
auch in den Bezeichnungen "sanfte Medizin" und "humanistische Medizin" zum
Ausdruck.
Im Zusammenhang mit dem Versuch, die große Verbreitung
der Paramedizin zu verstehen, halte ich es für wichtig, sich auch daran zu
erinnern, in welcher Zeit sie in Deutschland hoffähig wurde. Eine
offizielle und staatliche Anerkennung erfuhren Kurpfuscher und Außenseiter
in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Reichsärzteführer Dr. Wagner
hatte die "Neue deutsche Heilkunde" begründet, die sich an der
Pseudophilosophie von Blut und Boden ausrichtete. Rudolf Hess, der
sogenannte Stellvertreter des Führers, hat bereits 1933 geschrieben, dass
im Interesse der Volksgesundheit die Naturheilkunde einen ihr gebührenden
Rang erhalten solle und dass sich Schulmedizin und Naturheilkunde
gegenseitig befruchtend ergänzen müssen. Der Widerstand einiger Mediziner
gegen das geplante Heilpraktikergesetz wurde als reaktionäre und
staatsfeindliche Äußerung junger Mediziner aus "gewissen Hochschulkreisen"
bezeichnet. Dieses traurige Kapitel betrifft leider auch unsere
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin. Wir dürfen uns nicht darum
drücken, diese Phase unserer eigenen Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen,
in der der Geist der Unwissenschaftlichkeit akzeptiert wurde. Im Jahre
1936 begrüßte der Vorsitzende unserer Gesellschaft von dieser Stelle aus
die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine neue deutsche Heilkunde, deren
Mitarbeit dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin die
besondere Bedeutung gebe. Die Abhaltung des gemeinsamen Kongresses diene
dem Ziel, "über Geist und Wesen einer neuen deutschen Heilkunde zu
unterrichten." Dabei wurde sogar das Ziel einer Vereinigung mit dieser
Gruppe genannt. Nach Meinung des Vorsitzenden sei eine Zeit neuen
wissenschaftlichen Denkens in der Medizin angebrochen. Dies alles geschehe
unter dem Einfluss des nationalen Umbruchs. Dabei wird darauf hingewiesen,
dass die bis dahin praktizierte Medizin in Diagnostik und Therapie eine
gewisse "Volksentfremdung" aufweise. Ein Jahr später rief der Vorsitzende
zwar "zu ernster und gediegener Wissenschaft" auf, kommt zum Schluß seiner
Eröffnungsrede aber auch zur Verherrlichung der "deutschen Medizin des
neuen Aufbruches". Johannes Köbberling Wissenschaft
verpflichtet Eröffnungsvortrag des Vorsitzenden des 103. Kongresses der
Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Wiesbaden, 6. April 1997
Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den Zusammenhang
zwischen der Renaissance der traditionellen chinesischen Medizin und der
Finanzknappheit im kommunistische China unter Mao, sowie die damaligen
Sympathien in der Studentenbewegung. Traditionelle chinesische Medizin war
fester Bestandteil des Propagandaorganes der Peking-Rundschau zu Zeiten
des Vietnamkrieges und in den ersten Jahren danach. Sie wurde damals in
Deutschland und deutscher Übersetzung auch von "maoistischen" Studenten
regelmäßig gelesen.
Der wirkliche, aber entscheidende Gegensatz zwischen Medizin und
Paramedizin liegt darin, dass nur bei der wissenschaftlichen Medizin
Methoden und Theorien grundsätzlich für eine Prüfung offen sind und dass
deren Vertreter das Ergebnis dieser Prüfung akzeptieren. Nicht alles
innerhalb der Medizin ist geprüft, und wir können sicher davon ausgehen,
dass vieles, was heute für wahr und gültig angesehen wird, bei einer
entsprechenden Überprüfung fallengelassen werden muss. Wenn aber
bestimmte Bereiche der Medizin sich prinzipiell einer Prüfung widersetzen,
gelangen sie in den Bereich der Paramedizin. Auch alternative
Heilverfahren werden zunehmend wissenschaftlich untersucht, die meisten
Studien weisen noch erhebliche methodische Mängel auf. Dennoch sind solche
Untersuchungen sehr zu begrüßen. Leider werden daraus nur selten bei
negativem Ergebnis Konsequenzen gezogen. Handauflegen mit
Energiefeldbeeinflussung oder Energieübertragung ist beispielsweise unter
verschiedenen Namen in vielen Ländern eine verbreitete Methode. In einer
Studie bei der 21 verschiedene Ärzte die diese Methode seit Jahren
praktizieren erspüren sollten wo die Hand eines Kindes war, war die
Trefferwahrscheinlichkeit im Zufallsbereich.
dennoch, wird nach dieser Studie nicht erwarten dass die Methode auch nur
bei einem Patienten weniger eingesetzt wird. Im Grunde ist also die
Grenzziehung zwischen Medizin und Paramedizin ganz einfach, auch wenn das
Erkennen der Grenzen im Einzelfall für medizinische Laien recht schwierig
sein kann.
Es gibt aber auch für Laien erkennbare Merkmale der Paramedizin, die zur
Unterscheidung von der wissenschaftlichen Medizin beitragen können. Ein
wichtiges Merkmal der Paramedizin ist die Nennung sehr unspezifischer
Wirkungen mit Listen möglichst breiter Indikationen. Sehr häufig findet
sich ein fast allumfassender Anspruch solcher Therapieverfahren. Für die
sogenannte hämatogene Oxidationstherapie wurden aus verschiedenen
Mitteilungen 62 Indikationen zusammengestellt, die von Gefäßverschlüssen
an der Netzhaut, über Säuremangel des Magens, Diabetes mellitus,
Hepatitis, Lungenemphysem, Nierensteinen, Venenthrombosen bis zu
Wundheilungsstörungen reichen. Ein anderes Merkmal ist die Weichheit der
Formulierung bei Therapieberichten, die überwiegend auf kasuistischen
Mitteilungen oder retrospektiven Studien beruhen. Ein weiteres
Merkmal ist das Fehlen an Sachlichkeit und kritischer Distanz, das von
einem Übermaß an Enthusiasmus, fanatischen Heilungsberichten und üppig ins
Kraut schießenden Spekulationen übertüncht wird. Kasuistisch untermauerte
Wirkbehauptungen werden dann als gesicherte Tatsachen behandelt, Kritik
wird nicht akzeptiert, Zweifel werden als persönliche Anfeindung und
böswillige Verleumdung empfunden. Dies alles sind Zeichen eines
Sektiererverhaltens, die sich durch weite Teile des paramedizinischen
Schrifttums ziehen. Viele paramedizinische Verfahren sind Teil eines
geschlossenen Lehrgebäudes, zum Teil eines Weltbildes. Nicht selten beruft
man sich auf uralte Kulturen oder auf einen charismatischen Begründer der
Lehre, der so sehr verehrt wird, dass Veränderungen an dem Lehrgebäude
tabuisiert werden.
Die kampflose Hinnahme der falschen Begriffe, zum Beispiel die immer
wieder eingehämmerte Gleichsetzung von Naturheilmitteln mit sanfter
Medizin und risikoarmer Medizin bei jeglichem Verzicht auf
Wirksamkeitsnachweis, zeigt bereits Folgen. Die gleiche Denkschiene, die
für die Beurteilung der Arzneimittel der sogenannten "besonderen
Therapieverfahren" noch eine gewisse Stringenz hat, wird unvermittelt auch
auf die Beurteilung der übrigen Arzneimittel übertragen. Als der
Bundesgesundheitsminister in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag die
Nichteinführung der sogenannten Positivliste begründen wollte, erklärte
er, dass der Verzicht auf die Präparate mit nicht vorhandener oder
umstrittener Wirksamkeit dazu führen würde, dass die "sanfte Medizin durch
chemisch harte Medizin" ersetzt würde. Nicht nachgewiesene Wirksamkeit
wird einfach mit "sanft", nachgewiesene Wirksamkeit mit "chemisch hart"
gleichgesetzt. Ohne Begründung werden die nicht für die Positivliste
vorgeschlagenen Medikamente in seinem Referat auch als Naturheilmittel
bezeichnet. Dabei wurde vom ministeriellen Redenschreiber übersehen, dass
die sogenannten Naturheilmittel der besonderen Therapieverfahren ohnehin
ungeprüft in die Liste aufgenommen werden mussten.
Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat in Abstimmung mit der
dortigen Ärztekammer 20 Therapieformen wegen Wirkungslosigkeit auf eine
"schwarze Liste" gesetzt. Verbreitete Behandlungsmethoden wie
Bachblüten-, Aroma- oder Bioresonanztherapie sind Vertragsärzten mit der
neuen Regelung untersagt. Ebenso wie Haaranalyse oder Irisdiagnostik. Das
Verbot gilt selbst dann, wenn der Patient privat bezahlen möchte. (Juni
2001). Oskar Meggeneder, Direktor für Vertragspartner bei der
Gebietskrankenkasse, begründet den Schritt mit Patientenschutz. "Die
ausgewählten Therapien sind nach internationalem Erkenntnisstand entweder
wirkungslos oder für den Patienten sogar schädlich. Daher können wir es
nicht zulassen, dass ein Vertragsarzt diese anbietet." Man wolle
bloß den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen, so Meggeneder. Dass
möglicherweise ein Placeboeffekt zur Heilung beiträgt, will der Vertreter
der Krankenkasse nicht leugnen, "aber dann müssten wir alles bezahlen, und
das kann auch nicht Sinn der Sache sein". siehe auch (Quelle der
Standard)
Quacksalberei und
Wunderheiler gibt es auch natürlich auch außerhalb des Internets, aber "Cyberquacks"
sind kaum zu fassen, wenn etwas schiefgeht (wahre Identität?), zumal diese
oft im Ausland sitzen Angedeutete oder ausgeführte Verschwörungstheorien
(angebliche konspirative Unterdrückung des Produktes durch die
"Schulmedizin" oder die angebliche langjährige Weigerung einiger
Wissenschaftler, die "überzeugenden" Beweise anzuerkennen). Merke: Ärzte
und Wissenschaftler sind nicht dumm, und ständig auf der Suche nach neuen
Ideen und Therapien. Pharmakonzerne schicken beispielsweise Scouts zu
Naturvölkern und in Regenwälder, um traditionelle Heilmittel auf
Wirksamkeit zu überprüfen. Die angebliche Weigerung von Wissenschaftlern,
die "Wahrheit" anzuerkennnen, entpuppt sich meist als Widerstand des
Anbieters gegen eben diese (für ihn meist unangenehme) Wahrheit.
Siehe auch :
Eysenbach G,
Diepgen TL: Towards quality management of medical information on the
internet: evaluation, labelling, and filtering of information BMJ
1998;317:1496-1500
Eysenbach G, Diepgen
TL: Labeling
and filtering of medical information on the Internet Methods of
Information in Medicine 1999;38:80-88
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Die aufgeführten Adressen helfen
hier zur Differenzierung zwischen Scharlatanerie und seriöser Medizin.
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