Massenhysterie

Massenhaft akut auftretende psychogene Erkrankungen – Massenhysterie – wenn Angst ansteckend ist.

Der Begriff Massenhysterie wird unterschiedlich verwendet, manchmal ausschließlich im Sinne von in großen Menschenansammlungen auftretender gemeinsame starke Erregung, die durch einen äußeren Anlass hervorgerufen wird. Beispiele sind hier Popkonzerte, Sportgroßveranstaltungen etc.. Übergänge zur hier gemeinten medizinisch psychiatrischen Definition ergeben sich bei genauerem Hinsehen. Wenn bei Konzerten von Tokio Hotel hunderte von jungen Mädchen kollabieren, geht es letztlich um ansteckende psychiatrisch/psychologische Phänomene. Letztere sind das Thema dieser Seite.

Englisch auch „mass psychogenic illness“, „epidemic hysteria“ „hysterical contagion“, „mass sociogenic illness (MSI) „, „Psychogenic epidemics“, oder „acute somatisation“.  Von machen Autoren wurde das Phänomen früher als hysterische Ansteckung bezeichnet. Besonders häufig treten Massenhysterien in Schulen aber auch am Arbeitsplatz, im Kloster, an Bahnhöfen oder beim Militär auf.  In anderen Kulturen kann es auch die ausreichend große Familie sein. Mattoo SK, Gupta N, Lobana A, Bedi B.Es handelt sich in der Regel um eine rasche Verbreitung eines oder meist mehrerer Symptome oder Krankheitszeichen für die keine organische Erklärung gefunden werden kann. Betroffen sind oft Gruppen von Menschen, die in engem Kontakt zu einander stehen, durch die Verbreitung in Massenmedien können aber solche Gruppenzusammenhänge auch fehlen. Oft werden neurologische Symptome mit einer Funktionsstörung oder einer veränderten Funktion gezeigt, Erregungszustände und Hyperventilationsymptome kommen häufig vor. Die psychische Natur der  körperlichen Symptome ist den Betroffenen nicht bewusst, sie werden unbewusst dargeboten und haben keine organische Grundlage. Oft treten sie im Zusammenhang mit einer nachvollziehbaren Bedrohungssituation, die allgemein Angst erzeugt auf. Im ersten Weltkrieg waren 90 000 Menschen durch Giftgas gestorben, dieser unheimliche Tod prägte die Massenhysterien des 20. Jahrhunderts mit vorherrschenden Ängsten vor giftigen Gasen.  Die ständige Präsenz des Themas einer chemischen, biologischen oder gar atomaren terroristischen Bedrohung seit dem 11. September 2001 kann zumindest potentiell das Risiko solcher Massenhysterien erhöhen. 

Ungewöhnliche Gerüche, Ängste vor chemischer Kriegsführung oder Terrorismus spielen häufig eine Rolle. Psychiatrisch werden sie unter den somatoformen Störungen in der Unterkategorie „Konversionsstörung oder Dissoziative Störung“ eingeordnet.  Sie werden von dem ebenfalls vorkommenden kollektiven Wahn durch das überwiegende Vorhandensein körperlicher Symptome unterschieden.  Typischerweise werden zunächst Lebensmittelvergiftungen, Insektenstiche, Gase und Dämpfe, Umweltverschmutzung usw. angeschuldigt oder als Ursache angenommen. In vielen Fällen sind junge Frauen besonders anfällig. Massenhysterien werden meistens nicht absichtlich erzeugt, obwohl diese Variante neuerdings durchaus eine Rolle spielt. Wenn Sekten ein ähnliches Phänomen erzeugen, spricht man nicht von Massenhysterie, obwohl Ähnlichkeiten bestehen. Angst ist immer vorhanden, ist aber nie das vorherrschende Symptom. In früheren Zeiten dominierten hysterische Bewegungsstörungen.  Körperliche Symptome wie sie auch bei Hyperventilation vorkommen überwiegen in modernen Zeiten.  Der Ausbruch von plötzlich massenhaft auftretenden psychogenen Krankheiten oder Symptomen wird in seinem gelegentlichen Ausmaß beispielsweise an der Reaktion von immerhin 12000 japanischen Kindern ab dem 16. Dezember 1997 deutlich. Damals waren bewegte Pokemon- Cartoons die Auslöser. Nur bei einem zu vernachlässigenden Prozentsatz lagen tatsächliche medizinische Probleme vor. Bei diesen wenigen handelte es sich um Kinder (1 von 4,923 sechs bis 18 jährigen die den Poket- Monstern zusahen) mit einer Epilepsie mit Photosensibilität. Takada H, et al Die bei weitem überwiegende Zahl der Kinder war nach den Ergebnissen der Nachuntersuchung Opfer einer Massenhysterie, die durch die Sensations-Berichte in den Medien angeheizt worden war. Massenhysterien haben auch deshalb häufig ihr Thema in Gesundheitsbefürchtungen, weil Ängste vor Krankheit allgemein weit verbreitet sind. Russell Noyes, Jr., Arthur J. Hartz, Caroline C. Doebbeling, Richard W. Malis, Rachel L. Happel, Lisa A. Werner, and Steven J. Yagla Illness Fears in the General Population Psychosom Med 2000 62: 318-325. [Abstract] [Full Text] Radford B, Bartholomew R. Zifkin BG, Kasteleijn-Nolst Trenite DG.  Einer europäischen Massenhysterie fielen 1999 auch 80 000 000 Coca Cola-Flaschen und -Dosen in Holland, Belgien, Luxemburg, und Frankreich zum Opfer nachdem 38 Schüler über Kopfschmerzen und Schweißausbrüche nach dem Genuss des koffeinhaltigen Getränkes geklagt hatten und einen schwefligen Geruch an den Dosen wahrgenommen hatten. Später waren gar 112 Schüler betroffen, von denen aber nur die Hälfte Coca Cola getrunken hatte. Eine Verunreinigung des Inhalts konnte später nicht festgestellt werden. (siehe z.B. Die Zeit − Leben : Die große Brauseausschüttung)Die Ansteckung durch Medienaufmerksamkeit macht auch nicht traumatisierte zu Traumaopfern, nur 41% der Vietnamveteranen die über Belastungsstörungen durch den Kriegeinsatz berichteten hatten nach einem Vergleich mit den Militärakten einen in der Diagnostik berichteten Gefechtseinsatz hinter sich, in dem sich die Traumen ereignet haben könnten. Br J Psychiatry 2005 186: 467-472. [Abstract] [Full Text]  Ähnlich wie nach Tschernobyl bei uns haben beispielsweise einzelne Fälle von Vogelgrippe in Ägypten 2006 einen rapiden Auskauf der Trinkwasserflaschen bewirkt. (Handelsblatt vom 23.02.2006) Besonders nach allgemein ängstigenden Ereignissen sind die direkt Betroffenen gefährdet.   4000 der 10 000 New Yorker Feuerwehrmänner, die nach dem Angriff auf das World Trade Center eingesetzt waren, und eine Vielzahl von Personen, die in der Nähe wohnten berichteten über Atemnot, einen Druck auf der Brust, Brustschmerzen, und allgemeine Angstsymptome. Tausend falsche Milzbrandalarme beschäftigten in den Wochen danach die USA und die Nachrichtensendungen auf der ganzen Welt. Massenhysterien können nicht nur vorübergehende Epidemien von hypochondrischen Befürchtungen und Krankheitssymptomen auslösen, auch die Wirtschaftwelt ist bis heute nicht vor Massenhysterien an der Börse sicher. Eine der bekanntesten Vorläufer moderner psychologisch begründeter Börsencrash´s ist der holländische Tulpenwahn im 17. Jahrhundert in dem simple Tulpenzwiebeln nach eine Art Schneeballsystem soviel wert wurden wie die durchschnittliche Lebensarbeitsleistung eines Menschen der damaligen Zeit, bis die Seifenblase platzte. Der Tanz ums Goldene Kalb

Hexenverbrennungen

Es ist bekannt dass über Jahrhunderte gehende „Massenhysterien“ wie der Glaube dass Juden, Homosexuelle oder Hexen an allem Elend schuld seien, auf politischem Gebiet katastrophale Folgen hatten. Die Juden wurden als Ursache der um 1350 um sich greifenden Pest ( 20 bis 25 Millionen Menschen in Europa starben daran) angesehen. Schon damals mischte sich der fromme Wunsch „damit das Übel auszurotten“ mit einer Geschäftstüchtigkeit legalisierten Raubmordes (Auch durch Äbte und andere Kleriker). Hexenprozesse sind ein anderes Beispiel. Allein im deutschen Reich forderten sie 20000 Todesopfer. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass vom 13. bis zum 18. Jahrhundert bis zu 9 Millionen Menschen wegen Hexerei verbrannt wurden. Auch damals waren Angst vor Zauberei als Ursache von Krankheiten, Beschwerden jeder Art, Elend und Not in schwieriger Zeit die sich epidemisch ausbreiteten die Ursache. Möglicherweise wurden teilweise auch die Symptome von Mutterkornvergiftungen fehlgedeutet. Religiöser Fanatismus war immer eine besondere Basis für Massenhysterien.

Der Glaube an Hexen und Teufel war auch für viele Nonnen der Auslöser hysterischer Epidemien. Meist haben sie motorische Symptome gezeigt, waren selbst ebenso wie die hinzugezogenen Teufelsaustreiber von der Besessenheit durch den Teufel überzeugt. Solche „Epidemien dauerten typischerweise Monate und in einigen Fällen sind sie mit wechselndem Ausmaß sogar über Jahre beschrieben worden. Histrionische Symptome und Rollenspiele waren wesentlicher Teil dieser Syndrome. Junge Mädchen wurden von älteren in sozial isolierende religiöse Orden eingeführt, sie mussten sich an eine rigide Disziplin halten und hatten ausschließlich Kontakt zu ihren Ordensschwestern. Sie mussten Selbstkasteiung und Armut geloben, manche mussten sich fast bis zum Verhungern unter sich wiederholenden ganztägigen Gebeten langen Fastendiäten unterwerfen. Bestrafungen selbst für kleine Übertretungen der Regeln waren an der Tagesordnung, Geißelungen und Kerker eingeschlossen. Die hysterischen Anfälle traten am häufigsten unter den strengsten Regimen auf. Priester wurden geholt, die Teufel auszutreiben. Unbeliebte  Ordensschwestern wurden besonders oft beschuldigt durch ihre Flüche für die „Anfälle“ verantwortlich zu sein, sie wurden oft eingekerkert oder sofort auf dem Scheiterhaufen verbrannt.  Beschuldigungen der Hexerei waren ein häufiger Weg soziale und politische Streitereien unter dem Deckmantel der Religion und Justiz zu lösen. Rebellische Nonnen benutzten Vulgärsprache und Blasphemien sie führten auch unzüchtige Handlungen aus, zeigten ihre Genitalien, onanierten öffentlich und beschuldigten Mönche der Vergewaltigung und des Geschlechtverkehrs. Die Teufelsaustreibungen durch die Priester waren mancherorts ein tägliches Spektakel mit reichlich Zuschauern aus den umgebenden Gemeinden.  Einer der letzten deutschen Fälle war der der Chorschwester Maria Renata Singer von Mossau im Klosters Unterzell 1749. Bereits über mehrere Jahre war von der  69jährigen 50 Jahre untadeligen Ordensschwester behauptet worden, sie sei eine Hexe. In den umgebenden Dörfern war jede Krankheit, jedes Viehsterben und schlechte Ernte auf die Hexe im Kloster geschoben worden. 1744 trat ein Fall von Besessenheit (vermutlich Epilepsie) bei einer jungen Schwester auf.  Die Anfälle wurden als dämonischen Ursprungs gedeutet. In der Folgezeit werden im Kloster mehrere Fälle von Besessenheit registriert. Es kam wie zu einer „ansteckenden“ Besessenheitsepidemie. Sechs Schwestern wurden in den Akten als besessen bezeichnet. Siehe Hexenbruch, Hexenwahn  Die Verfolgung von Hexen war dabei allerdings keine rein katholische Angelegenheit. Auch Luther selbst soll „mit der Einäscherung der Teufelshuren“ einverstanden gewesen sein. In den USA wurde am OhioKonvent noch 1880 ein solches Spektakel beschrieben.1374 soll in Aachen der Tanzwahn des Mittelalters begonnen haben und in weite Teile Europas verbreitet worden sein. In Deutschland wurde das Phänomen zuerst „St. Johannestanz“ genannt. Johannes der Täufer war der Schutzpatron gegen Epilepsie und andere Bewegungsstörungen. Die „Tanzepidemie“ erhielt diesen Namen in der Hoffnung auf Heilung von dieser Krankheit. Angst vor der Pest soll diese Bewegung sich zu einer zeitweisen Massenhysterie ausgebreitet haben. Schützen sollte er auch vor Epilepsie und anderen Bewegungsstörungen, die als Ausdruck einer Besessenheit vom Teufel angesehen wurden.  Immer wieder findet die religiöse Variante, die in Entwicklungsländer wie Uganda genauso wie in den entwickelten USA und der Schweiz bis zum Massenselbstmord geht Aufmerksamkeit. Jeder scheint sich sicher, dass es ihn nicht betreffen könnte. Gerade die mangelnde Auseinandersetzung damit macht aber anfällig. Auch in der modernen aufgeklärten Zeit bleiben wir für Suggestion und irrationale Ängste anfällig. Die medizinische Variante der Massenhysterien ist häufiger, scheint manchmal heimtückischer, findet aber in ihren Grundlagen kaum Beachtung. Es scheint wahrscheinlich, dass auch unser Medizinsystem als solche nicht selten solche Krankheiten als Modekrankheiten mit enormer Verbreitung und enormem Leid produziert. Nicht immer aber auch nicht selten gibt es Profiteure, die in der Dynamik der Erkrankung eine Rolle spielen. Berechtigte wie übertriebene Umweltängste spielen in der Entstehung eine wesentliche Rolle.  (Siehe auch  Lawrence K. Altman, „Mysterious Illnesses Often Turn Out to Be Mass Hysteria,“ New York Times, January 18, 2000.) Terroristen und andere Kriminelle nutzen neuerdings die Neigung von Menschen zu Massenhysterien. Ein typisches Beispiel sind die Milzbrandinfektionen in den USA, die durchaus und offensichtlich vom Täter gewollt eine Massenpanik auslösten. Ein gewisser anhaltender Erfolg hat sich offensichtlich eingestellt, der Guardian berichtet über epidemieartig sich ausbreitende Hautausschläge in mehr als 2 Dutzend Grundschulen der USA. Die Hautausschläge traten zu Dutzenden innerhalb von Stunden auf, verschwanden beim Verlassen der Schule um dann bei Wiederbetreten wieder aufzutreten ( betroffen waren fast ausschließlich bei Mädchen). Ein Auslöser soll das „Geschenk“ von Koranbüchern durch reiche Saudis an amerikanische Schulen nach dem 11. Sept. in Zeiten der Milzbrandangst (Beginn der Serie am Tag der ersten Berichterstattung über die Milzbrandfälle) gewesen sein. Entgegen aller Aufklärung schürten lokale Zeitungen und Fernsehsender die Panik mit Berichten über den „mystery rash“.  Margaret Talbot, The H-Word, Saturday August 31, 2002The Guardian unter http://www.guardian.co.uk/weekend/story/0,3605,782338,00.html  . Die Idee ist allerdings nicht neu, geltungssüchtige Menschen haben schon immer versucht, im Dienste einer „Ideologie“ oder ganz einfach um sich selbst interessant zu machen Panik zu erzeugen. Über eine kurioses Beispiel berichtet der Skeptical Inquirer,   In Leeds England soll 1806 eine Henne Eier gelegt haben auf denen zu lesen stand: „Christ is coming.“ Scharen sollen zu dem Wunder herbeigeeilt sein und eine Welle der Religiosität angesichts des nahen Endes der Welt wurde ausgelöst. Schließlich stellte sich heraus, dass die mit einem Stift beschrifteten Eier vorsichtig in die Henne geschoben wurden, damit sie beim Legen der so beschrifteten Eier beobachtet werden konnte. In einer Welle von Enttäuschung sei die Religiosität wieder abgeflaut sein. Je eher man die Situation und die Hintergründe erkennt, um so geringer der Gewinn der Erzeuger der Hysterie, um so unwahrscheinlicher werden weitere solche Vorfälle.

Auch bei den Hexen und den Ausbrüchen von Massenhysterien in Klöstern hatten unmenschliche Lebensbedingungen mit eine Rolle bei der Entstehung gespielt. In der Industriellen Revolution wurde letzterer Auslöser noch offensichtlicher. Episoden von Massenhysterien wurden in England, Frankreich, Deutschland, Italien und Russland berichtet. Oft waren es hysterische Anfälle, bizarre Bewegungen und neurologische Beschwerden. Zu Zeiten der industriellen Revolution war Kinderarbeit an der Tagesordnung, die Löhne waren niedrig, die Arbeitsbedingungen oft unmenschlich. Der erste Ausbruch der Massenhysterie zu Zeiten der industriellen Revolution wurde in England in der Lancashire Cotton Mill im Februar 1787 berichtet, heftige Konvulsionen und Erstickungsgefühle sollen dort bei einem Mann und 23 Frauen aufgetreten sein.  2 Jahre nachdem Edmund Cartwright die Webmaschine erfunden hatte, die die Textilindustrie revolutionierte trat ein ähnlicher Vorfall in Frankreich auf.  Mit Besserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurden auch die entsprechenden Vorfälle seltener. Bei Erwachsenen wie bei Kindern ist meist das weibliche Geschlecht besonders betroffen, nach manchen Untersuchungen in einem Verhältnis 90/10. Ein einheitlicher Glaube an eine bestimmte mysteriöse Ursache ist meist vorhanden. Durch die unheimliche Gefahr geraten die Betroffenen in einen Zustand erhöhten Arousals. Dieser Stresszustand erzeugt neue Überzeugungen, die den Symptomen des Arousals eine neue Bedeutung geben. Die neuen Überzeugungen bezüglich der Ursachen breiten sich im Freundeskreis exponentiell aus. Am Arbeitsplatz sind Langeweile, hoher Zeitdruck, Stressoren wie Hitze, schlechte Führungsqualität der Vorgesetzten, zwischenmenschliche Kommunikationsstörungen und mangelnde soziale Unterstützung oft der Nährboden für die Entwicklung von Massenhysterien. Olkinuora M.  Konformität, Gutgläubigkeit und Akzeptanz der Symptome durch die unmittelbare Umgebung sind andere wichtige Faktoren, die zur Ausbreitung beitragen.  Unmenschliche Disziplinierungen in Schulen führten später zu ähnlichen Phänomenen in den Schulen. 1893 trat an einer Mädchenschule in Basel, ein ansteckendes Schütteln und Konvulsionen besonders bei Mädchen auf, die mit ihrer schriftlichen Arbeit in der Schule nicht fertig wurden. Die Symptome verschwanden nach den Schulstunden und traten an den Folgetagen im Unterricht oder nach Betreten des Schulgeländes wieder auf. nach  1904 kam es an der selben Schule zu einem erneuten Ausbruch der Symptome. ,the same school reported a similar outbreak (Zollinger, 1906). In Grosstinz Schlesien traten zwischen dem 28 Juni und Mitte October 1892, Händezittern und ein Ganzkörperzittern auf, 8 von 20 Betroffenen hatten dabei Bewusststeinstrübungen und eine Amnesie für die Ereignisse.  In einer Schule in Chemnitz trat im Februar 1906 ein epidemisches Händezittern bei Grundschülern anlässlich von Schreibübungen auf. Die Symptome begannen bei 2 Schülern und breiteten sich allmählich auf 21 Schüler aus um 4 Wochen anzuhalten. Die Symptome traten ausschließlich beim Schreiben auf, im Sportunterricht hatten die Schüler keine Probleme.  Nach dem zur Behandlung Elektroschocks bei den betroffenen Grundschülern eingesetzt wurden und sie während der Schreibübungen auch noch rechnen sollten verschwanden die Symptome bald.  Neben Klöstern und Schulen sind auch Soldaten quasi naturgemäß mit einem besonderen Risiko der Massenhysterie behaftet. Gleich 1000 Rekruten entwickelten im September 1988 Symptome, die zu einer Evakuierung führten. Körperlicher Stress, psychischer Stress, die Massenunterkunft und Gerüchte über Gestank und Gase/Rauch waren der Auslöser.   Struewing JP, Gray GC.

 Sensationsmeldungen in Presse und Fernsehen erhöhen die Auflage. Bedauerlicherweise tragen sie damit nicht selten zur Verbreitung und Entstehung von Massenhysterien bei. Wenn sich dann herausgestellt hat, dass die berichteten Erkrankungen psychogener Natur waren, lässt das Interesse nach. Die vornehmste Erklärung dafür warum diese Meldungen dann nur noch Dreizeiler auf der 3. Seite wert sind, nach dem sie ursprüngliche Meldung oft genug mehrmals Titelgeschichte war, ist dass Schuldgefühle und Scham die Redakteure befallen hat. Wahrscheinlicher ist, dass man ja auch von der nächsten Sensation profitieren möchte. Auch bei den Betroffenen herrscht nach Klärung verständlicherweise Scham vor. Ein Beispiel für häufige Panikmache sind angebliche Schädigungen durch häufige Impfungen. Obschon es generell ja durchaus Nebenwirkungen von Impfungen gibt, sind diese glücklicherweise bei Standardimpfungen selten. Dennoch finden Einzelmeinungen die im Kontrast zur übrigen wissenschaftlichen Meinung stehen nicht selten ein sehr breites Presseecho. Plötzlich ist in jeder Zeitung zu lesen die Maser- Mumps Röteln Impfung können Autismus auslösen (BMJ 2003), (siehe auch N Begg et al 1998 und E Duffell 2001), oder Hepatitis Impfungen könnten Multiple Sklerose auslösen. Es entsteht dabei meist ein ganz falsches Bild der Diskussion. Ängste bleiben auch nach Abflauen solcher Kampagnen zurück. Die dadurch mit begründete Impfmüdigkeit verursacht immer wieder kleinere Epidemien mit oft schlimmen Folgen für die Betroffenen. In Nigeria haben Ängste, dass die Polioimpfung von westlichen Ländern extra mit AIDS-Viren kontaminiert worden seien und Mittel enthalten würden, dass die Kinder unfruchtbar werden, die Gefahr neuer Epidemien von Kinderlähmung hervorgebracht. BMJ 2002;324:1414   Kampagnen der Impfgegner sind so alt wie die Impfungen an sich.   Nicht ganz selten wird auch von Ärzten in Unkenntnis oder vermutlich auch aus finanziellen Gründen die Angst geschürt.  Umweltängste bilden die Grundlagen für die Massenhysterien in den entwickelten Ländern des 20. Jahrhunderts. Es gibt sie, die Katastrophen wie Tschernobyl oder Seveso. Sie sind meist von vorneherein offensichtlich und können auch wenn dies von Industrie und Politik gewollt wäre, allenfalls sehr kurzzeitig verheimlicht werden.  Viel häufiger als solche Katastrophen ist die Angst von einer solchen betroffen zu sein. Es entstehen durch diese Angst überwiegend körperliche Symptome (siehe Tabelle unten). Oft gibt es verständliche Gründe für diese Ängste, die Meldung von Asbest oder PCP in den Schulräumen, die farbige oder übel riechende Giftwolke aus dem Industrieschornstein und die dazukommende verspätete und unzureichend verständliche Information zu diesen Themen können dann auslösend sein.  In Hong Kong waren 1982 gleich 413 Schüler betroffen, sie vermuteten Opfer von Giftgas zu sein, die Schüler waren dabei an 2 geographisch auseinander liegenden Orten betroffen, die Nachbarschaft war beschwerdefrei. Mit großem Untersuchungsaufwand wurde eine reale Vergiftung ausgeschlossen. Der Epidemie war eingeleitet worden nachdem das Gerücht aufgekommen war, dass eine Bedrohung mit Giftgas an einer anderen Schule stattgefunden habe, die Lehrer hatten diesen Vorgang mit ihren Schülern besprochen, die weiter Ausbreitung geschah wohl ausschließlich unter den Schülern. Wong SW, Kwong B, Tam YK, Tsoi MM. Während des ersten Golfkrieges gab es an einer amerikanischen Schule einen ähnlichen Zwischenfall, neben 17 Schülern der 7. und 8. Klasse waren auch 4 Lehrer in Krankenhausbehandlung. Kompliziert wurde das Ganze dadurch, dass das Labor eine für Nichtraucher relativ hohe Kohlenmonoxid Konzentration (Karboxyhämoglobin) im Blut fand, was für lang anhaltende Diskussionen ob nicht doch eine Vergiftung vorlag sorgte. Rockney RM, Lemke T.   Im März/April 1983 waren in der jordanischen West Bank gleich 949 Personen (meist Schulkinder, 727 (77%) davon Mädchen) von einer epidemischen „mysteriösen Gasvergiftung“ betroffen. Auslösend war vermutlich der Gestank aus einer Toilette.  Araber und Israelis glaubten beide an einen Anschlag im Rahmen des Nahostkonfliktes. Israelische Zeitungsberichte, die Meinungsäußerungen von arabischen and israelischen Ärzte und das emotionale Klima im Djenin Hospital sollen in der Entstehung und Verbreitung der Massenhysterie eine wichtige Rolle gespielt haben. Die weitere Ausbreitung endete nach dem die Schule vorübergehend geschlossen wurde. Modan B, et al. Hefez A. Stinkende Abflussrohre haben auch andernorts schon hunderte zu hysterischen Reaktionen bei mehreren hundert Betroffenen geführt. Selden BS. Auch andere Gerüche waren schon Auslöser von Massenhysterien. Baker P, Selvey D.  Selbst Parfüm hat es schon zum Auslöser von Massenhysterie unter Studentinnen gebracht. Amin Y, Hamdi E, Eapen V. Meist reicht das Gerücht über einen ungewöhnlichen Geruch, dieser muss per se gar nicht von den Betroffenen selbst wahrgenommen werden. Das Gerücht führt schon psychologisch zur Geruchswahrnehmung.  Der Kosovokonflikt war Auslöser für eine der größten Massenhysterien der Geschichte. Im März 1990 gab es im Kosovo einen mysteriöse Epidemie, die gleich tausende von Schulkindern betraf. Radovanovic Z.  In anderen Fällen waren die Ängste der Eltern der Grund für die epidemische Verbreitung der Symptome einer „Gasvergiftung“ unter den Schulkindern. Wessely S, Wardle CJ.  210 Schüler einer Grundschule in Nord Carolina 1985-1986 hatten nach dem Einbau einer neuen Heizung Kopfschmerzen, Schwindel, Bauchweh, Übelkeit, .. Die Ausbreitung geschah im Freundeskreis, es war zunächst ein Infekt vermutet worden, als Erreger wurde dann Angst nachgewiesen. Cole TB, Chorba TL, Horan JM.  Auch bei anderen Massenhysterien in Schulen ließ sich nachweisen, dass die Beobachtung symptomatischer, meist hyperventilierender Freunde das wesentliche Moment der Ausbreitung war. Small GW, Propper MW, Randolph ET, Eth S.  Auch Gerüchte über Ausbrüche von Geschlechtskrankheiten oder Milben waren auch in jüngster Zeit auslösend für Massenhysterien in Wohnvierteln.  Tizon JL, Panella H, Maldonado R. Vermutete Mikroben führen dann nicht selten zu Jucken und Kratzen, sekundäre Hautveränderungen durch das Kratzen eingeschlossen. Robinson P, Szewczyk M, Haddy L, Jones P, Harvey W. 

Die Medienberichterstattung verursacht oft nach einem Unglück mehr traumatisierte Menschen, als das Unglück selbst.  Nachrichten im Fernsehen oder Zeitungen entwickeln oft ein Eigenleben, und verursachen große Wellen von Medieninteresse für eine bestimmte Story oder ein Thema.  Im Englischen wird dafür oft der Terminus ‘media-hype’ verwendet. Die wissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens steht noch am Anfang. Noch weniger untersucht sind solche Phänomene in Internetgemeinden. In unserer modernen Zeit fühlen sich sehr viele Menschen durch eine Vielzahl unsichtbarer Risiken bedroht, die sie nur aus ihrem Wissen aus Zeitungen, Fernsehen, und Internet kennen.  Sie haben damit alle nur ein soziales Konstrukt dieser Risiken, das von der Art der Gefahr her, und vom Ausmaß her in Medien fast beliebig manipulierbar ist. Verschleierung wie Dramatisierung sind für den Laien kaum beurteilbar, Musterbeispiele sind nicht nur die Reaktionen auf den 11.September, auch Fernsehberichte über angebliche Chemikalien Verseuchungen von Schulhäusern etc. können kaum einschätzbare Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Medienkonsumenten haben. 4 Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Posttraumatischen Stress Symptomen und dem Medienkonsum zu den Ereignissen vom 11.September ergeben, dieser Zusammenhang schien dosisabhängig zu sein.  Ahern J,  Psychiatry 2002;65:289–300 Schuster MA,  N Engl J Med 2001;345:1507–12.Schlenger WE,  JAMA 2002;288:581–8. Silver RC,  JAMA 2002;288:1235–44.Ahern J,  J Nerv Ment Dis 2004;192:217–26  Nach dem Flugzeugunglück in Amsterdam stieg die Inanspruchnahme von medizinischen Untersuchungen proportional zur Medienberichterstattung mehr als ein Jahr nach dem Ereignis dramatisch an. Kirch W, ed. Public health in Europe: 10 years EUPHA. Heidelberg, Germany: Springer, 2004 (11).

Die Beobachtung eines Menschen mit Krankheitssymptomen, ob nun organisch oder nicht selten psychogen, ist dann der ansteckende Auslöser. Während in unserer modernen Welt die Umweltängste im weitesten Sinn häufig mitspielen und Auslöser für hyperventliationsartige Symptome sind, gibt es in besonderen Umgebungen immer noch auch klassische massenhaft hysterische Symptome. Letztere spielen vor allem in sozialen Stresssituationen wie strengen Schul- Militär- oder Sektenregeln eine Rolle. Hier sind dann dissoziative Lähmungen, Trance- und Agitationszustände die häufigeren Symptome.

Typische Charakteristika von Massenhaft auftretenden psychogenen Erkrankungen

Tritt oft nach Kontakt mit einer „Umweltnoxe“ als Trigger auf (bes.: Geruch, Gerücht, Bericht über Gefahrstoffe, Beobachtung von Notfallmaßnahmen in einem solchen Zusammenhang, etc.).
Frauen sind viel häufiger betroffen (manche Autoren gehen von 90% aus, es gibt allerdings auch Gegenbeispiele.
Jugendliche und Kinder sind häufig betroffen.
Neben Schulen und Arbeitsplätzen sind auch Kasernen, Klöster, Bahnhöfe, Wohnviertel und andere Orte an denen viele Menschen zusammen sind besonders gefährdet.
Patienten mit psychischem oder körperlichem Stress sind besonders anfällig. Aber auch Langeweile und Kommunikationsprobleme vergrößern das Risiko.
Die Symptome breiten sich rasch aus und verschwinden auch meist rasch wieder – haben aber auch schon Jahre angehalten
Situationen die besonders geeignet sind Emotionen zu produzieren sind besonders geeignete Anlässe und Auslöser.
Am Arbeitsplatz können emotional unbefriedigendes Klima und Unzufriedenheit bei der Auslösung eine Rolle spielen
Die Symptome passen nicht zu einer speziellen und einzelnen biologisch nachvollziehbaren Ursache.
Keine besonderen Umweltnoxen erkennbar und auch nicht nachweisbar bei genauer Untersuchung
Fehlen der üblicherweise im Zusammenhang mit der angeschuldigten Umweltnoxe zu erwartenden Symptome und Laborwerte
Die Symptome können Hyperventilation oder Ohnmachten einschließen. Oft typische Begleitsymptome wie bei HV. In manchen Untersuchungen wurde eine Alkalose nachgewiesen. (z.B.: Boxer PA, Singal M, Hartle RW, An epidemic of psychogenic illness in an electronics plant. J Occup Med 1984 May 26:381-5
Manchmal typische dissoziative oder Konversionssymptome, die der erfahrene Untersucher erkennen kann.
Symptome im Zusammenhang mit minimalen körperlichen Auffälligkeiten oder Laborauffälligkeiten. 
Die Symptome breiten sich mit Kontakt zu Betroffenen aus (spread by „line-of-sight“ transmission) (z.B.: Sehen oder Hören  von einer anderen kranken Personen erzeugt Symptome).
Die Krankheit kann auch wieder kommen, wenn es generell zu einen erneuten Ausbruch in der Umgebung kommt. 
Keine wesentlichen feststellbaren Folgeerscheinungen bei Nachuntersuchungen
Die Krankheit eskaliert bei besonderes langen Notfallmaßnahmen und im Zusammenhang mit der Medienaufmerksamkeit. 
Betroffene verteidigen oft sehr engagiert ihre Vorstellungen und verweigern sich oft anderen Erklärungen der Beschwerden.
  1. Boss LP. Epidemic hysteria: a review of the published literature. Epidemiol Rev 1997;19:233-43.
  2. Philen RM, Kilbourne EM, McKinley TW, Parrish RG. Mass sociogenic illness by proxy: parentally reported epidemic in an elementary school. Lancet 1989;2:1372-6.
  3. Small GW, Feinberg DT, Steinberg D, Collins MT. A sudden outbreak of illness suggestive of mass hysteria in schoolchildren. Arch Fam Med 1994;3:711-6.

Nach Grundy SM. Small LDL, atherogenic dyslipidemia, and the metabolic syndrome [Editorial]. Circulation 1997;95:1-4. Übernommen und modifiziert aus TIMOTHY F. JONES, M.D. . Mass Psychogenic Illness: Role of the Individual Physician. … TABLE 1 Predominant Symptoms in Nine Outbreaks of Mass Psychogenic Illness*.Am Fam Physician 2000;62:2649-53,2655-6.) AFP – December 15, 2000

Beispiele

eine Oberschullehrerin vernahm im Klassenzimmer einen benzinartigen Geruch. Sie entwickelte Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemnot und Schwindel. Die Schüler begannen ähnliche Symptome zu entwickeln. Die Schule wurde evakuiert und eine Notfallmaschinerie von verschiedenen Nachbarbezirken  rückte an. An diesem Tag gingen 100 Personen zum Notarzt mit Symptomen die sei mit dem Aufenthalt in der Schule in Zusammenhang brachten. 5 Tage später kam es zu einem erneuten Ausbruch. Die Schule wurde geschlossen und 70 Personen suchten den Notarzt auf. Die Körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen ergaben keinen Anhalt für eine giftige Substanz als Ursache der Symptome. Eine sehr ausführliche Untersuchung durch verschiedenste Umweltspezialisten und Labore konnte keine giftige Substanz nachweisen die den Ausbruch erklären konnte. Am häufigsten betroffen waren weibliche Personen, die eine andere Person gesehen hatten, die Symptome entwickelte und glaubten einen Geruch wahrzunehmen.  Jones TF, Craig AS, Hoy D, Gunter EW, Ashley DL, Barr DB, et al. Mass psychogenic illness attributed to toxic exposure at a high school. N Engl J Med 2000;342:96-100.

Im August 1944 rief in Mattoon Illinois eine Frau die Polizei an, sie hatte um Mitternacht eine Person vor ihrem Haus wahrgenommen, die ein süßliches Gas ins Schlafzimmer sprühte. Die Frau empfand eine kurze Schwäche ihrer Beine und Schwindel. Auch der später nach hause gekommene Gatte verspürte und sah ähnliches. Kurze Zeit später berichtete die lokale Zeitung darüber. Die Zahl der Personen mit ähnlichen Wahrnehmungen stieg rasch an. Die Polizei erhielt Anzeigen von 27 Frauen und 2 Männern. Obwohl keinerlei Spuren von irgendwelchen organischen Gesundheitsschäden oder Fußspuren in den Gärten zu finden waren entbrannte eine Suche nach dem verrückten Phantomanästhesisten oder dem „the mad gasser of Mattoon.“  Frauen trauten sich nur noch in Begleitung ihrer Männer auf die Straße und die sich geschädigt fühlenden wurden als Opfer sehr bedauert. Die häufigsten Symptome damals waren Taubheitsgefühlen an Händen, Mund und Füßen, Muskelverkrampfungen, trockener Mund, Unruhe, Bauchschmerzen, Brustschmerzen, Kopfweh, Schwindel, Benommenheit, Schwächegefühl, Gähnen, Synkopen, Schweißausbrüche, verwaschene Sprache, verschwommenes Sehen und Angst, typische Hyperventilationssymptome. Ob damals eine ängstliche Illusion oder gar eine Wahnwahrnehmung auslösend war, ist nicht bekannt, sicher ist aber dass die Ausbreitung der einer Massenhysterie angeheizt durch den Zeitungsbericht entsprach.  Die Wahrnehmung eines ungewöhnlichen Geruches ist dabei ein häufiger Auslöser. In einem anderen Fall beklagte sich 1989 in Florida ein Schulmädchen über einen unangenehmen Geschmack ihres belegten Brötchens und musste kurze Zeit später erbrechen. 63 (42%) von 150 Kindern entwickelten anschließend rasch ähnliche Symptome. Innerhalb von 2-40 Minuten nach dem Essen hatten 77% Bauchkrämpfe, 75% Übelkeit,  51% Kopfweh 30% Schwindel 30% ein allgemeines Krankheitsgefühl, 11% Halsweh, 67% der Kinder erbrachen sich. Trotz intensiver Suche konnte keine Lebensmittelvergiftung oder ähnliches gefunden werden. MMWR, CDC, Epidemiologic Notes and Reports Mass Sociogenic Illness in a Day-Care Center — Florida May 11, 1990 / 39(18);301-304


Im September 1998, glaubten mehr als 800 junge Menschen in Jordanien an den Nebenwirkungen einer Tetanus-Diphtherie Impfung erkrankt zu sein. 122 wurden stationär aufgenommen. Massenmedien spielten auch hier eine große Rolle, voreilig wurde über angeblich gepanschte, verdorbene und vergiftete Impfampullen berichtet. Neben leicht erhöhter Temperatur klagten sie über Beschwerden durch niedrigen Blutdruck, einen Druck in der Brust, Kälteschauer, Ohnmachtnahe Gefühle. In diesem Fall waren ausnahmsweise mehr junge Männer betroffen. Bulletin of the World Health Organization, 2001, 79 (8) In einem ähnlichen Fall nach einer Hepatitis B- Impfung in einer Schule, waren es ebenfalls überwiegend junge Frauen, besonders betroffen dort, die mit der Schule unzufriedeneren. Die Symptome waren ähnlich. Peir� EF, Yá�ez JL, Carrami�ana I, Rullán JV, Castell J, Study of an outbreak of hysteria after hepatitis B vaccination, Med Clin (Barc) 1996 Jun 107:1-3 Bei 10 amerikanischen Schülern einer Kleinstadtschule aus der 9.-11. Klasse traten tägliche epilepsieähnliche Anfälle über Jahre auf, die immerhin bei 7 zu einer Behandlung als Epilepsie führte. Das Anfallsmuster war unterschiedlich und wechselte individuell wie zwischen den Schülern. Auffallend war zunächst die Symptomfreiheit in den Ferien, Video- EEGs zeigten schließlich eindeutig, dass es sich um psychogene Anfälle handelte. Die Schüler waren ansonsten angesehen und nicht primär auffällig. Sie hatten auch nicht überdurchschnittlich viele psychischen Probleme. E. Steve Roach; Ricky L. Langley, Episodic Neurological Dysfunction Due to Mass Hysteria, Arch Neurol. 2004;61:1269-1272.ABSTRACT | FULL TEXT | PDF

Wer hat nicht schon einmal selbst das Bedürfnis zum Kratzen verspürt, wenn er mit einem Menschen mit einem schlimmen Hautauschlag konfrontiert wurde und dieser über seinen Juckreiz berichtete oder wenn er mit Menschen mit Läusen oder ähnlichem konfrontiert war. In Südafrika traf dies gleich 1450 Schüler auf einmal in einer Massenhysterie. Das Jucken und Kratzen trat nur in den Schulen auf, zu Hause waren die Symptome verschwunden. Taxifahrer verweigerten die Aufnahme der Betroffenen, Eltern ließen ihre Kinder nicht mehr mit Betroffenen spielen. Auch hier traten schnell typische Hyperventilationssymptome und Angst hinzu.. Rataemane, S.T., Rataemane L.U.Z., Mohlahle, J.  (2002)  Mass hysteria among learners at Mangaung  schools in Bloemfontein, South Africa. International Journal of Psychosocial Rehabilitation. 6, 61-67

Im April 1982 erkrankte fast die Hälft von 220 Arbeitern einer Fabrik an unklaren Symptomen, die letztlich durch eine versehentliche Einleitung von Dieselabgasen eines Versuchsmotors entstanden waren. Dabei war die Abgaskonzentration nicht verantwortlich für die Symptome, sondern die vorausgehende Befürchtung, dass mit der Klimaanlage etwas nicht in Ordnung sei. Symptome waren Benommenheit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Taubheit oder Kribbeln im Gesicht und an den Extremitäten.MMWR CDC June 10, 1983 / 32(22);287-8,294

Massenhaft akut auftretende psychogene Erkrankungen betreffen Menschen mit ganz realen Symptomen, die oft von falsch verstandenen oder falschen Informationen getriggert werden. Leider haben sie oft bis sie entdeckt und als Massenhaft akut auftretende psychogene Erkrankungen oder Massenhysterie eingeordnet werden sehr zerstörerische Auswirkungen auf die Einzelnen wie die betroffenen Gemeinschaft.  

Massenhysterie wurde bereits seit über 600 Jahren in verschiedensten Kulturen und unter  verschiedensten Bedingungen beschrieben.2,3 Oft sind auch die Symptome kulturspezifisch abgewandelt. Über eine kurioses Beispiel berichtet der Skeptical Inquirer,   aus dem Nigeria von 1990. Es handelte sich um eine Epidemie der verschwindenden Genitalien. Nach zufälligem Körperkontakt auf der Straße mit einem Anderen waren besonders junge Männer davon überzeugt, ihre Genitalien gestohlen worden waren. Sie fühlten ein komische Gefühl an ihrem Hoden, beschuldigten laut  den Übeltäter und zogen sich auf der Straße aus um zu beweisen, dass die Genitalien fehlten. Die dann doch vorhandenen Genitalien nahmen sie als ausgetauscht und verkleinert wahr, oder meinten dass diese wegen der Entdeckung zurückgegeben worden waren.  Vermeintliche Übeltäter sollen teilweise von aufgebrachten Mengen totgeschlagen worden sein. Die Straßen waren bevölkert von jungen Männern die sich sicherheitshalber offen oder verdeckt die Genitalien festhielten und von jungen Frauen, die ihre Brüste festhielten.

Die Kenntnis von Massenhysterien ist bedauerlicherweise kein Bestandteil der medizinischen Ausbildung. Vor allem bei erster Meldung der Symptome kann es schwierig sein sie von einem „bioterroristischen“ Anschlag oder einer sich schnell verbreitenden Infektion oder den Folgen eines ausgetreten Giftes zu unterscheiden. Epidemien von Massenhaft akut auftretende psychogene Erkrankungen bekommen immer großes Medieninteresse. Sie haben häufig erhebliche wirtschaftliche Folgen und führen nicht selten zu erheblicher Beeinträchtigung der Betroffenen mit entsprechenden auch sozialen Folgeproblemen. Die zeitige Erkennung und der richtige Umgang mit den Symptomen durch den Arzt ist für die Folgen entscheidend. 

Historisch, wurde eine Vielzahl von Verrücktheiten und abnormem Gruppenverhalten einer Massenhysterie zugeordnet. Dies ging vom der mittelalterlichen Tanzmanie bis zum jüngsten Coca Cola Zwischenfall in Belgien. Schwindel, Kopfweh, Müdigkeit, Unwohlsein waren auch hier die verbreiteten Symptome.  Coca-Cola nahm wegen geringer Mengen Hydrogensulfit  mit ungewöhnlichem Geschmack oder Geruch Millionen von Getränken vom Markt. Viele solcher Ausbrüche werden sicherlich nicht erkannt, die Häufigkeit ist wahrscheinlich größer als gegenwärtig bekannt.

Massenhaft akut auftretende psychogene Erkrankungen sind definiert als eine Konstellation von Symptomen die eine organische Erkrankung vermuten lassen, bei denen sich körperlicher und laborchemischer Untersuchung keine organische Ursache findet, und die bei Menschen auftritt, die gemeinsame Ansichten über die Auslösung und Art ihrer Symptome teilen.  Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Ausschlussdiagnose, es geht also nicht nur darum eine organische Ursache auszuschließen. Wenn das Phänomen an sich zeitig in Betracht gezogen wird, hilft dies in Untersuchungen die Ausbreitung einzudämmen.  Die Übersichtsarbeit von T.F.Jones (Mass Psychogenic Illness: Role of the Individual Physician, Am Fam Physician 2000;62:2649-53,2655-6.) kommt nach Durchsicht der Literatur zu dem Schluss, dass es nur wenige Fälle gibt, bei denen akute Krankheitszeichen von Untersuchern oder Ärzten fälschlich als psychogen zugeordnet wurden, und es sich tatsächlich um minimale körperliche Symptome nach Exposition mit toxischen Substanzen handelte, die nicht sofort von den Untersuchern erkannt wurde. 

Von 1973 bis 1993, waren die Hälfte der berichteten Ausbrüche psychogener Massenerkrankungen in Schulen, gefolgt von Fabriken (29%), Kleinstädten und Dörfern (10 %), sowie Familien und anderen Institutionen.  Die Ausbrüche entstehen am häufigsten in Gruppen die sich körperlichem oder emotionalem Stress ausgesetzt sehen. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Impfungen sind ebenfalls häufige Auslöser von Befürchtungen.

Verbreitung, Symptome und Umgang

Massenhysterien können

  • eine explosionsartige Verbreitung finden
  • oder nur in kleinen umschriebenen Gemeinden oder Institutionen auftreten. 
  • bei Verbreitung über die Massenmedien auch lange anhalten und als neue Krankheiten hartnäckig bestehen bleiben.

Selbstverständlich sind eindeutige körperliche Ausschlussdiagnosen erforderlich. Häufig wird aber im Anschluss so lange gesucht bis etwas gefunden wird und sei es auch noch so unspezifisch und häufig in der Allgemeinbevölkerung. Spezialisierte Labor sind gut darauf vorbereitet mit der Angst der Menschen ein gutes Geschäft zu machen. Manchmal sieht man ganze Bände von Laborwerten bei denen jeder im oberen oder unteren Normalbereich liegende unspezifische Befund kommentiert ist. – Frei nach dem Motto je mehr man im Labor untersucht, um so mehr auch unspezifische Auffälligkeiten findet man in jedem Fall. – Zwar enthält das kleingedruckte dann manchmal Hinweise auf die Unspezifität und eigentliche Bedeutungslosigkeit, oft genug resultiert aber dennoch eine Behandlungsempfehlung,  selbstverständlich mit Mittelchen die eben jenes „Speziallabor“ oder die Kooperationspartner verkaufen. Hierdurch entstehen nicht nur für den einzelnen dann Kosten und ein vermehrtes Krankheitsgefühl, auch die Massenhysterie wird dadurch mit entstehenden (manchmal nach meinem Eindruck geschäftstüchtig gesteuerten) Interessengruppen weiter geschürt. Noch katastrophaler wirken sich „Vegatests“ und andere nachgewiesenermaßen völlig absurde Untersuchungsverfahren aus, die in jeglicher Hinsicht Phantasieergebnisse erzeugen.  

Häufige Symptome bei Massenhysterie
**–Nicht bei allen Untersuchungen wurden alle Symptome registriert.
Aus: TIMOTHY F. JONES, M.D. . Mass Psychogenic Illness: Role of the Individual Physician. … TABLE 1 Predominant Symptoms in Nine Outbreaks of Mass Psychogenic Illness*.Am Fam Physician 2000;62:2649-53,2655-6.) AFP – December 15, 2000

Empfehlungen für ärztliches Vorgehen bei Patienten mit Massenhaft auftretenden psychogenen Erkrankungen 

Die Personen die vom Ausbruch betroffen sind sollten möglichst aus der Situation zur Klärung herausgenommen werden um eine weitere „Ansteckung“ zu verhindern. Sie sollten sofort körperlich einschließlich Laborparameter untersucht werden. Dies ausreichend um eine akute Erkrankung oder körperliche Erklärung für die Symptomen auszuschließen. Der Hyperventilation sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, und es sollte ihr mit entsprechenden Erklärungen und Behandlungsmaßnahmen (Plastikbeutelrückatmung, Beruhigung usw. begegnet werden.) Gleichzeitig sollte versucht werden unnötige medizinische Maßnahmen zu unterlassen. Notärzte mit Rettungshubschrauber und Medien sowie andere angsterzeugende Personen und Institutionen sollten ferngehalten werden. Die örtlichen Gesundheitsbehörden sollten informiert werden. Anderen Ärzten die Patienten des gleichen Ausbruch behandeln, sollten informiert werden. Test und Laborergebnisse sollten den Patienten sofort mitgeteilt und erklärt werden. Unter Wahrung der Schweigepflicht sollte den Patienten mitgeteilt werden, dass auch andere ähnliche Symptome haben und sich ohne Komplikationen bessern. Die Patienten sollten informiert werden, dass die Gerüchte über die vermutete Ursache nicht mit den erhobenen Daten übereinstimmen. Es muss immer betont werden, dass die empfunden Symptome real sind, nach Möglichkeit sollten sie auch erklärt werden. Die Bedeutung der Angst bei der Symptomentstehung muss erklärt werden. Den Patienten sollte versichert werden, dass keine Langzeitfolgen zu erwarten sind. Sobald dies zutrifft sollten alle Patienten informiert werden, dass keine adäquate Ursache die die Symptome erklären könnte gefunden werden konnte. Übernommen aus  TIMOTHY F. JONES, M.D. . Mass Psychogenic Illness: Role of the Individual Physician. … TABLE 1 Predominant Symptoms in Nine Outbreaks of Mass Psychogenic Illness*.Am Fam Physician 2000;62:2649-53,2655-6.) AFP – December 15, 2000

zum Umgang mit Hyperventilation siehe dort

Insgesamt bleibt nach meiner vieler Experten der Umgang mit Ängsten ein wesentliches Problem unserer Zeit. Nicht nur zeitlich begrenzte Massenhysterien stellen eine Herausforderung dar. Ängste spielen eine (vermutlich die entscheidende) wesentliche Rolle in der Chronifizierung von Schmerzkrankheiten wie Rückenschmerzen. Umweltängste wie Terrorängste steigern sich leicht ins Irrationale und können dann krankheitswertig werden. Medien, Interessengruppen wie Ärzte tragen dabei auch wesentlich zur Verschlimmerung bei. Viele Modeerkrankungen sind letztlich auf solche Massenhysterien zurückzuführen. Bedauerlicherweise entsteht dabei tatsächliches erhebliches Leiden, nicht selten auch gravierende finanzielle Not. Depressionen und Hilflosigkeit können die weiteren Folgen sein.

Sehr viele Menschen haben körperliche Symptome, unter Stressbedingungen nehmen diese zu. Sollte es tatsächlich zu einem Krieg mit Massenvernichtungswaffen kommen, wird man mit großen Massenhysterien auch in der Allgemeinbevölkerung rechnen müssen. Letztere könnten dann erhebliche zusätzliche Probleme aufwerfen. Viele Symptome von die durch Giftgas, bakteriologische Kampfmittel oder als akute Strahlenfolge auftreten können, ähneln den typischen Symptomen der Massenhysterie. Die Unterscheidung wird, wenn tatsächlich körperlich geschädigte Menschen in großer Zahl vorhanden sind schwierig werden. In jedem einzelnen Fall kann auch die Wissenschaft sich irren.   Pastel RH. Falscher Alarm ist in realen Bedrohungssituationen wesentlich häufiger. Dramatisches Beispiel waren hier die Milzbrandalarme nach dem 11. September. Bis zur Klärung eines Verdachtsfalles mit ärztlichen Untersuchungen, chemischen und biochemischen Analysen … vergeht meist viel Zeit. Die Untersuchungen als solche sind nicht zu umgehen, deren vorzeitige bildliche Darstellung ohne Kenntnis des Ergebnisses, kann kurzfristig zu einer erheblichen Zunahme der Fallzahlen führen. Wie man in regional eng begrenzten Fällen die Betroffenen von einander trennen muss, um deren Genesung zu beschleunigen, so ist bei großer Ausbreitung eine zurückhaltende Berichterstattung bis aussagekräftige Ergebnisse vorliegen hilfreich. Danach muss eine Veröffentlichung aller Untersuchungsergebnisse erfolgen um den Verdacht, dass doch eine Vergiftung vorlag sicher auszuräumen. Dabei muss bei größter Offenheit auf die Scham der Betroffenen Opfer einer Massenhysterie geworden zu sein Rücksicht genommen werden, um zu vermeiden, dass diese Scham in langfristige somatoforme Symptome umschlägt.  Abgesehen davon, dass Frauen wohl anfälliger sind (möglicherweise weil sie auch mehr untereinander kommunizieren und nicht nur weil sie allgemein für histrionische Symptome anfälliger sind), hat wenig was zu den Persönlichkeitsvariablen der Betroffenen geschrieben worden ist in allen Untersuchungen bestätigt werden können. Man muss davon ausgehen, dass sehr viele Menschen für Massenhysterien anfällig sind. Intelligenz und Bildung scheinen jedenfalls nicht vor diesem Phänomen zu schützen. Das Wissen über Massenhysterien, und dass jeder zumindest kurzfristig in einer entsprechenden Situation  Symptome empfinden kann, kann helfen sich selbst wieder zu beruhigen. Die Symptome behalten trotz ihrer möglichen Ähnlichkeit zu tatsächlichen Massenvernichtungswaffen viel typisches. Den geschulten Fachleuten wird deshalb die Verdachtsdiagnose leicht fallen. Dies kann auch verhindern, dass nach Massenhysterien Mythen weiter wachsen und damit die „Seuche“ sich weiter infektiös ausbreitet. Die Bedrohung durch Kriege, Terroristen und Umweltängste werden auch im 21. Jahrhundert für die Existenz von Massenhysterien auch in den westlichen Industrienationen sorgen.

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur