Neuralgische Schulteramyotrophie

Die neuralgische Schulteramyotrophie – eine Differenzialdiagnose zum Bandscheibenvorfall im HWS- Bereich.

Manchmal wird das Krankheitsbild Parsonage-Turner Syndrom genannt. Nachdem die Nervenwurzeln den Wirbelkanal verlassen verbinden sie sich zum Armplexus. Dieser Plexus kann Opfer einer zu Beginn sehr schmerzhaften Entzündung werden. Der Schmerz dauert nur wenige Tage, danach wird der eigentliche Schaden, die Lähmung sichtbar. Diese Lähmung ist am Anfang sehr ausgeprägt, bildet sich aber glücklicherweise häufig zurück.  

Die akute Entzündung des Armplexus oder auch neuralgische Schulteramyotrophie ist seit den1940ern als eigenständiges Krankheitsbild bekannt. Andere Synonyme sind  „Brachial- Plexus Neuropathie,“ „lokale Neuritis des Schultergürtels“,  „akute Brachialplexitis,“ „akute Schulterneuritis,“ „paralytische Neuritis“ und „Parsonage-Turner Syndrom.“

Virusinfekte als Ursache wurden von vielen vermutet, andere gehen davon aus, dass es sich um ein Autoimmungeschehen unter anderem ausgelöst durch Virusinfekte handelt. Solche vorrausgehenden Virusinfekte lassen sich in immerhin 25% der Fälle nachweisen. Bis zu 15 % der Fälle sollen nach Impfungen (einschließlich Hepatitis B und Grippeimpfung) auftreten.  Eine immunologische Ursache ist wahrscheinlich.

Die meisten Fälle treten zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr auf.  Männer sind  häufiger betroffen. Die jährliche Inzidenz wird auf 1.64 Fälle pro 100,000 Personen geschätzt. Dabei wird aber auch davon ausgegangen, dass viele Fälle nicht diagnostiziert werden, wegen Fehldiagnosen oder weil die Symptome nur mild sind. Nicht selten kommen die Patienten wegen einseitiger Beschwerden und es stellt sich bei der Untersuchung heraus, dass die andere Seite ebenfalls betroffen ist. Es gibt auch seltene erbliche Fälle. Bei diesen Hereditären Neuralgischen Amyotrophien (HNA) oder der hereditären Brachialplexusneuropathie handelt es sich um eine autosomal dominant Erkrankung. Hier treten wiederkehrende Attacken mit akuten heftigen Schmerzen und nachfolgenden Lähmungen, manchmal auch leichteren sensiblen Defiziten auf.    Genetisch fand man bei der HNA auf dem Chromosom 17q24-q25 den Ort der Schädigung. Betroffenen der erblichen Form haben oft leichte dysmorphe Merkmale, wie einen Hypotelorismus. Auch bei der HNA ist meist der Plexus brachialis betroffen, es kommen aber auch hier Schädigungen am Plexus lumbosacralis, den caudalen Hirnnerven, dem N. phrenicus und dem autonomen Nervensystem vor. Die erbliche Form beginnt meist im ersten oder zweiten Lebensjahrzehnt, bisher wurden lediglich 200 Patienten aus 35 Familien berichtet.

Symptome und Verlauf

Die Diagnose ist schwierig und auch eine Ausschlussdiagnose. Es gibt keinen typischen Labor- Liquorbefund, oder Röntgenbefund. Das EMG kann zur Klärung beitragen. In seltenen Fällen kann im Akutfall eine Kernspintomographie eine Verdickung des betroffenen Armplexus darstellen, meist gelingt dies jedoch nur mit der speziellen MR-Neurographie, die nur selten zur Verfügung steht. Eine sorgfältige Anamnese und die Kenntnis der Neurologie ermöglicht aber eine sichere Diagnose. Die Patienten kommen meist mit akuten schweren brennenden Schmerzen in der Schulter und im Oberarm ohne dass eine offensichtliche Ursache bekannt ist. Manche werden von dem beginnenden Schmerz aus dem Schlaf geweckt. Meisten dauert der Schmerz nur Tage selten Wochen. Mit dem Nachlassen der Schmerzen fällt die Schwäche der Oberarm und Schultermuskeln auf.

Schulteramyotrophie: Plexitis im MRT

Bei der neurologischen Untersuchung finden sich dann die Zeichen einer Plexusschädigung. Es sind mehr als die von einem Nerven versorgten Muskeln betroffen. Am häufigsten sind die Muskuli  supraspinatus, infraspinatus, deltoideus und/oder der M. biceps betroffen. Also das Versorgungsgebiet des oberen Armplexus. (in 50% oberer Armplexus, ca. 15% unterer Armplexus, 35% Mischformen). Schwieriger wird die Diagnose wenn nur (selten) von einem einzigen Nerven versorgte Muskeln betroffen sind. Glücklicherweise bessern sich auch die Lähmungen in Verlauf von 3-4 Monaten meist vollständig. Es können aber auch Lähmungen zurückbleiben. Je länger der anfängliche Schmerz dauert um so länger dauert es in der Regel bis die Lähmung zurückgeht. Bei bis zu einem Drittel der Patienten sind die Symptome beidseitig, meist mit asymetrischer Verteilung.  Fallberichte berichten über eine Wiederherstellung die bis zu 3 Jahre dauerte. Eine Rückbildung über die nächsten Monate ist auch bei der erblichen Form die Regel.

Zervikaler Bandscheibenvorfall und weitere Differentialdiagnosen

Patienten mit einer zervikalen Wurzelkompression durch einen Bandscheibenvorfall im HWS- Bereich haben meist Schmerzen die vom Nacken  in den Arm ins Versorgungsgebiet einer Nervenwurzel ausstrahlen. Meist ist auch hier keine Ursache erkennbar, die Patienten erwachen oft morgens mit Schmerzen. Manchmal kann auch ein Trauma die Ursache sein. Der Schmerz hat hier seine typische Ausstrahlung ins betroffene Dermatom und es kann eine Schwäche der Kennmuskeln dieses Dermatoms  sowie eine Gefühlsstörung dort vorhanden sein.

Die Lähmungen richten sich nach dem betroffenen Myotom:

C5,6: M. deltoideus, bizeps, brachioradialis.

C7:  M. trizeps,  Hand-Finger-Strecker, pronator teres, flexor carpi radialis, flexor digitorum superficialis, flexor pollicis longus.

C8,Th1:  Handmuskeln, Beuger, Thenar, M. extensor carpi ulnaris.

Die dazugehörigen Reflexe sind abgeschwächt oder ausgefallen. (siehe Tabelle und Bild). Alle Beschwerden treten hier gleichzeitig auf- insbesondere Schmerz und Lähmung gleichzeitig. 

Die Differenzialdiagnose kann ansonsten vor allem zu Beginn, wenn die Lähmungen noch nicht offensichtlich sind umfangreich sein. Symptome wie bei einer neuralgischen Schulteramyotrophie mit typischen Verlauf, kann auch eine eine Vertebralisdissektion über eine Kompression der Zervikalwurzeln hervorrufen.

In Betracht kommen auch: Gelenkinfektion, akute glenohumerale Luxation, glenohumerale Subluxation, akute Acromioclaviculargelenk-Instabilität, Tendinose der Rotatorenmanschette, Bursitis subacromialis,  Tendinosis caIcarea, Rotatorenmanschettenruptur, chronische Polyarthritis mit Schultergelenksbefall, Polymyositis/Dermatomyositis, Gicht, Syringomyelie, lokaler Tumor oder Metastase, Pancoast-Tumor, Thoracic-outlet-Syndrom, pseudoradikuläre HWS-Beschwerden, Humeruskopfnekrose… Wenn die Lähmungen sichtbar werden und eine entsprechende Ausschlussdiagnostik durchgeführt wurde, sollte sich aber die Diagnose stellen lassen.

Zervikale Dermatome und Kennmuskeln

Muskeleigenreflex (MER)Zugehöriger NervNervenwurzelSensibles Defizit
SkapulohumeralreflexN.suprascapularis
N.axillaris
C4,C5,C6Über dem M. deltoideus
(äußeres Schulterdreieck)
Bizepsreflex (BSR)N . musculocutancusC6 (C5)Daumen und Zeigfinger
Brachioradialisreflex (Radiusperiostr.)
(BRR oder RPR)
N. radialisC6 (C5)Daumen und Zeigfinger
Trizepsreflex (TSR)N. radialisC7 C8Mittelfinger
Fingerbeugereflex (Trömner)N. medianus, N. ulnarisC7 C8Ring- und Kleinfinger
Zervikale Dermatome

Behandlung

In der Regel handelt es sich um einen monophasischen Verlauf mit guter Prognose. In der Regel werden zu Beginn Cortisonpräparate verabreicht, ob Ruhe hilft ist offen, sie wird aber häufig empfohlen. Geduld ist immer angebracht. Ob chirurgische Interventionen sinnvoll sind ist noch nicht ausreichend untersucht.

Akute neuralgische Schulteramyotrophie vs. Zervikale Wurzelschädigung

Akute neuralgische SchulteramyotrophieZervikale Wurzelschädigung
AnamneseAkute schwere brennende Schmerzen in der Schulter und im Oberarm ohne offensichtliche Ursache. Keine Änderung der Schmerzen bei Bewegungen des Armes oder der HWS. 

Nach allmählicher Abnahme der Schmerzen zeigt sich eine Schwäche im Arm.
Schmerzen die vom Nacken  in den Arm ins Versorgungsgebiet einer Nervenwurzel ausstrahlen, meist keine Ursache, manchmal Trauma.

Schmerzen nehmen bei Bewegungen des Armes oder der HWS zu.

Schmerzen und Schwäche im Arm beginnen gleichzeitig
UntersuchungsbefundeAn den neurologischen Defiziten ist erkennbar, dass mehr als ein Nerv und mehr als eine Nervenwurzel betroffen sind (Plexusläsion).An den neurologischen Defiziten ist erkennbar, dass eine Nervenwurzel betroffen ist (und gleichzeitiger Schmerz in Arm und Nacken).
Tests und ErgebnisseBei der Elektromyographie und Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten kann nach 3-4 Wochen die Plexusläsion nachgewiesen werden. 
Im Kernspin der klinisch gelähmten Muskeln zeigt sich eventuell ein Ödem. Diese Veränderungen sind bereits Tage nach Beginn der Symptome nachweisbar. Dennoch ist diese teure Untersuchung hier selten indiziert, da sich keine Konsequenzen ergeben. 
Im Kernspin zeigt sich die durch einen Bandscheibenvorfall und/oder Osteophyten eingeengte Nervenwurzel, passend zur Höhe der bereits klinisch vermuteten Wurzelkompression.
BehandlungAnalgetika (auch starke) um den Schmerz zu bekämpfen.  
Für Kortison ist bisher kein Effekt nachgewiesen.

Krankengymnastik um die Kraft und Mobilität zu erhalten. 

Wenn der M.deltoideus betroffen stark ist, kann eine Armschlinge indiziert sein um eine Schulterluxation oder Subluxation zu verhindern.
Rückversicherung des Patienten, dass die Symptome zwar langsam aber meistens sich vollständig zurückbilden.
Analgetika um den Schmerz zu bekämpfen. 
Krankengymnastik um die kraft und Mobilität zu erhalten.

Kortison kann im akuten Fall helfen die  Irritation der Nervenwurzel schneller zu begrenzen.

Muskelrelaxantien für die Verspannungen und Verkrampfungen
Eventuell vorsichtige Extensionsbehandlung.

Bei schwerer Lähmung oder Therapieresistenz Op- Indikation