Leitlinien

Leitlinien sind in der Regel zur Orientierung der Ärzte der betreffenden Fachbereiche geschrieben worden. Sie sind nicht immer für Patienten oder medizinische Laien verständlich. Die Orientierung von Patienten an diesen Leitlinien setzt eine korrekte fachärztliche Diagnose voraus. Beispielsweise gilt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie oder Neurologie bezüglich der Trigeminusneuralgie nur für Patienten die wirklich dieses Krankheitsbild haben. Oft wird aber diese Diagnose von Ärzten mancher Fachrichtungen gestellt, ohne daß tatsächlich eine solche Erkrankung vorliegt. Verschiedene Fachgebiete setzen bei den selben Krankheitsbildern unterschiedliche Schwerpunkte, sie behandeln auch unterschiedlich, dies insbesondere dort wo die Ergebnisse kontrollierter Studien noch nicht eindeutig sind. Leitlinien sind unabhängig von ihrer Qualität nur Entscheidungshilfen zur Behandlung liefern. Individuelle Patienten können mit all ihren Besonderheiten (Komorbidität, Krankheitseinsicht, individuelle Präferenzen, soziale Situation, Versicherungsbedingungen…..) nicht immer in Leitlinien abgebildet werden. Sie geben nicht immer den Stand der medizinischen Wissenschaft wieder, an dem sich alle Ärzte im Rahmen ihrer Behandlung zu orientieren haben. Manche Leitlinien sind nur vorläufig (S1 Leitlinien), oft hat sich der Stand der medizinischen Wissenschaft seit Publikation der Leitlinie geändert. Leitlinien sind meist für Ärzte und Patienten einfach zugänglich unter AWMF. Bei einigen Leitlinien sind die ausführlichen Versionen nur im Buchhandel erhältlich. Für chronisch Kranke kann es sehr sinnvoll sein sich in der Bewertung der ärztlichen Behandlung an den Leitlinien zu orientieren. Auch international sind Leitlinien sind oft frei im Internet zugänglich und manche weichen von den deutschen Leitlinien ab. Auch in Kunstfehlerprozessen und anderen juristischen Auseinandersetzungen spielen Leitlinien oft eine Rolle.
Leitlinien sind nach der Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ):
Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen.
Leitlinien stellen den nach einem definierten, transparent gemachten Vorgehen erzielten Konsens mehrerer Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen und Arbeitsgruppen (ggf. unter Berücksichtigung von Patienten) zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen dar.
Leitlinien sind wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlungen. Leitlinien sind Orientierungshilfen im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muß.
Leitlinien werden regelmäßig auf ihre Aktualität hin überprüft und ggf. fortgeschrieben. Sie können allerdings nicht immer völlig aktuell sein.
Sie sollen hilfreich sein bei:
der Sicherung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung,
der Berücksichtigung systematisch entwickelter Entscheidungshilfen in der ärztlichen Berufspraxis,
der Motivation zu wissenschaftlich begründeter und ökonomisch angemessener ärztlicher Vorgehensweise unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Einstellungen der Patienten,
der Vermeidung unnötiger und überholter medizinischer Maßnahmen und unnötiger Kosten, der Verminderung unerwünschter Qualitätsschwankungen im Bereich der ärztlichen Versorgung,
der Information der Öffentlichkeit (Patienten, Kostenträger, Verordnungsgeber, Fachöffentlichkeit u.a.) über notwendige und allgemein übliche ärztliche Maßnahmen bei speziellen Gesundheitsrisiken und Gesundheitsstörungen.
Leitlinien sind allerdings auch nur so zuverlässig wie ihre Autoren. Sie haben entsprechend menschliche Grenzen der Seriosität und Zuverlässigkeit. Aktuelles Beispiel: Die American Heart Association ist eine der angesehensten Organisationen in der medizinischen Welt überhaupt. Sie gibt Leitlinien und Therapieempfehlungen für die Behandlung von Schlaganfällen, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herzinfarkten und anderen Herzkreislauferkrankungen heraus. Diese gelten auch international für die Auswahl wirksamer Behandlungen als wegweisend. In einem Artikel des British Medical Journal (BMJ) wird aufgedeckt, dass die meisten Experten dieser Organisation, die mit der Erarbeitung von Behandlungsempfehlungen für Schlaganfallpatienten betraut waren, finanzielle Verbindungen zum Hersteller eines Präparates hatten, das von der Organisation für die Auflösung der Blutgerinnsel (Thromben) in der Frühphase von Schlaganfällen empfohlen wurde. Dabei sollen vor der Empfehlung dieses Präparates zur Behandlung insgesamt 12,6 Millionen Euro vom amerikanischen Hersteller Genentech an die Organisation und ihre Mitarbeiter geflossen sein. Das spezielle Präparat gilt ansonsten unter Experten als umstritten im Ausmaß seiner tatsächlichen Wirksamkeit und seiner Sicherheit. Nachdem das die finanziellen Verbindungen zum Hersteller publik wurden, hat die Organisation ihre Empfehlung und Aussage, dass das Medikament Alteplase Leben rettet und in der Schlaganfallbehandlung zu empfehlen ist, zurückgezogen. Für Ärzte wie für Patienten ist es von besonderer Bedeutung, dass die Behandlungsempfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften alleine auf Grundlage medizinischen Wissens und ethischer Grundsätze erfolgen. Dass die Studien, auf die sich eine Empfehlung solcher Fachgesellschaften stützen in den entsprechenden Leitlinien kenntlich gemacht werden, ist ebenso selbstverständlich, wie dass kenntlich gemacht wird, wie gesichert die Ergebnisse zum Zeitpunkt der Erstellung der Behandlungsempfehlung wirklich erwiesen sind. Nicht nur die Autoren des Artikels mit BMJ fordern, dass solche Leitlinien auch Auskunft über mögliche Parteilichkeiten der Experten enthalten müssen. Die Glaubwürdigkeit der für Behandlungsempfehlungen maßgeblichen Fachgesellschaften ist die wesentliche Basis für das Vertrauen in die moderne Medizin. Sie definieren die aktuellen Behandlungsstandards in allen Gebieten der Medizin. Entsprechend hoch sind die Maßstäbe, die an solche Organisationen anzulegen sind.

Erst neuerdings werden auch bei deutschen Leitlinien Angaben zu möglichen Interessenkonflikten gemacht. Beispielsweise finden sich unter http://www.dgn.org/leitlinien-conflict-of-interest.html die möglichen Interessenkonflikte von Professoren, die an den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie mitgearbeitet haben. Hinzu kommen auch andere Interessenkonflikte, Leitlinien können auch zu Mittelzuflüssen für bestimmte Krankheiten führen. Bei knappen Ressourcen, kann dies dazu führen, dass für andere Krankheiten weniger Geld zur Verfügung steht.

 

Quellen / Literatur:

Jeanne Lenzer Alteplase for stroke: money and optimistic claims buttress the „brain attack“ campaign, BMJ 2002;324:723-729 ( 23 March ) Siehe auch: Prof. Dr. med. Asmus Finzen, Pharma-Sponsoring: Wir dankbaren Ärzte Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 12 vom 22.03.02, Seite A-766

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur