Lobotomie

Aus der Hilflosigkeit in der Zeit vor der Möglichkeit einer suffizienten medikamentösen Behandlung schwerer psychischer Störungen entstanden. Bis zur Einführung moderner Neuroleptika und Antidepressiva wurden viele psychisch Kranke lebenslang in allgemein schlecht ausgestatteten und verdreckten psychiatrischen Anstalten verwahrt. Ärzte, Patienten und Angehörige waren gleichermaßen verzweifelt über diese Situation zu der noch die damals ausgeprägtere Diskriminierung auch der Familien psychisch Kranker kam. Unter diesen Bedingungen entstand die Lobotomie, die auch als Leukotomie bezeichnet wurde. Der portugiesische Neurologe Egas Moniz erhielt 1949 den Nobel Preis für Physiologie und Medizin für die Erfindung der Methode. Das eigentliche medizinische Verdienst von Moniz war bereits zuvor die Einführung der cerebralen Angiographie (Gefäßdarstellung im Gehirn), das aber von der Nobelkommission nicht geehrt worden war.

Bei der Lobotomie wurde zunächst mit mit einem Bohrer ein Loch in die Schädeldecke gebohrt und dann mit einem Messer oder einer Drahtschlinge ohne oder mit geringer Sichtkontrolle Nervenfasern die den Frontallappen mit den anderen Hirnteilen verbinden zerstört. Theorie war, dass falsch verwachsene Nervenfasern die psychische Störung auslösten. Die Zerstörung dieser Fasern sollte dem Hirn die Möglichkeit geben, dass neue Fasern nun mit den richtigen Verbindungen nachwachsen und die Patienten dadurch geheilt würden. Später wurden verschieden Abwandlungen des Zugangs zum Gehirn (z.B.: durch die Augenhöhle mit einem Eispickel- artigen Werkzeug oder mit verschiedenen anderen Werkzeugen) entwickelt, die sich aber vom Prinzip her nicht unterschieden. Ursprünglich gedacht war die Methode zur Behandlung von Depressionen, später auch Schizophrenien und Wahnkrankheiten. In den Hochzeiten der Methode soll sie auch bei Angststörungen, Schmerzpatienten und sogar bei unartigen Kindern oder akuten Erregungszuständen oft gegen den Willen der Patienten in verschiedenen Ländern angewendet worden sein. Gerade die Anwendung bei leichteren psychischen Störungen hat die Kritik an der Methode besonders heraufbeschworen. Alleine in den USA sollen von den 30er bis zu den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts Zehntausende dieser Eingriffe durchgeführt worden sein. Vereinzelt wurden auch in den 70ern noch solche Eingriffe durchgeführt. Dabei wurden durchaus Erfolge berichtet. Viele Patienten konnten aus den Anstalten entlassen werden, manche sollen nach Jahren der Krankheit wieder berufstätig geworden sein. Ob es sich allerdings tatsächlich um Behandlungserfolge handelte oder die Erfolge einfach teilweise dem natürlichen Verlauf der psychischen Störung entsprach wird strittig bleiben, da damals im Gegensatz zu heute keine Kontrollpersonen ohne Behandlung in die Studien einbezogen wurden. Aus neueren Untersuchungen weiß man, wie groß (und manchmal anhaltend) der Plazeboeffekt gerade bei hirnchirurgischen Eingriffen sein kann. Einer der Protagonisten war der amerikanische Arzt Dr. Walter Freeman. Freeman berichtete über 45 % gute Ergebnisse, 33 % zufriedenstellende Ergebnisse und 19% nicht gebesserte oder verschlechterte Patienten. Bei der mit am häufigsten angewendeten Methode die Dr. Walter Freeman anwendete (durch die Augenhöhle) ist darüber hinaus nicht sicher in welchem Umfang beim einzelnen Patienten tatsächlich überhaupt Hirngewebe zerstört wurde. Freeman, der aus einer bekannten Ärztefamilie stammte, wurde mit dieser Behandlungsmethode einer der bekanntesten (und zunächst auch einflussreichsten) Ärzte der USA, am Ende seiner Laufbahn wurde ihm nach dem Tod eines Patienten die Zulassung entzogen und er wurde vielfach öffentlich kritisiert, sogar mit dem NAZI- Arzt Josef Mengele verglichen. Freeman blieb seiner Auffassung über die Vorzüge der Methode bis zu seinem Tod treu, stand dabei aber dann am Ende alleine. Die Methode wurde bereits seit ihrer Einführung von vielen Ärzten als barbarisch kritisiert, man warf den Behandlern vor, dass sie aus aufsässigen Patienten willenlose, apathische und servile Geschöpfe produziere (Postlobotomie-Syndrom). Ein Eingriff bei der depressiven Rosemary Kennedy, einer Schwester des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy scheiterte und ließ eine apathische willenlose Frau zurück, was viel öffentliche Aufmerksamkeit fand. Ken Kesey’s 1962 erschienener und später verfilmter Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“ stärkte die Kritik an der Methode und trug mit dazu bei, dass die damals nach Einführung von Chlorpromazin und Imipramin bereits im Rückzug befindliche Methode von der medizinischen Bildfläche verschwand. Die Hauptperson in der Handlung wird dort aus disziplinarischen Gründen dem Eingriff unterzogen und in eine willenlosen Hülle seiner selbst verwandelt.

Die anfangs auch in der Presse gefeierte Methode wird heute als „Irrtum der Medizin“ gesehen. Hirnchirurgische Eingriffe zur Behandlung psychischer Störungen haben aber weiter einen gewissen Stellenwert in der Behandlung und bekommen auch immer wieder erheblich Publizität. Hirnschrittmacher zur Behandlung von Zwangsstörungen, oder auch Depressionen sind zumindest in der Forschung weiter aktuell. Diese Tiefenhirnstimulation hinterlässt weniger gravierende Schäden. Differenziertere Studien, die Plazeboeingriffe beinhalten sind möglich. Einen sicheren Wirkungsnachweis für diese Methoden gibt es bisher nicht. Bisher ist auch nicht bekannt, wo der Hirnschrittmacher am besten plaziert werden sollte. Zu bedenken ist, dass bezüglich der Tiefenhirnstimulation bei Parkinsonkranken erst nach Jahren über die negativen psychischen Auswirkungen bis hin zur Suizidalität diskutiert wird. Jedenfalls derzeit bietet die Tiefenhirnstimulation für die Behandlung von Depressionen und Zwangsstörungen keine ausreichende Heilungsaussicht und Behandlungssicherheit, und ist allenfalls in Studien gerechtfertigt.

Quellen / Literatur:

Jack El-Hai The Lobotomist: A Maverick Medical Genius and His Tragic Quest to Rid the World of Mental Illness http://lobotomist.com/ Daniel G. Stewart and Kenneth L. Davis The Lobotomist Am J Psychiatry 2008 165: 457-458 [Full Text]

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur