Mutistisch (stumm)

Wortkargheit bis Nichtsprechen. Die Kranken sprechen überhaupt nicht mehr oder nur ganz wenige geflüsterte Worte oder Silben. Es kann sich dabei um Antriebsmangel, Hemmung, Sperrung, aktiv-negativistisches Verweigern der sprachlichen Kontaktaufnahme handeln. Beim psychogenen Mutismus handelt es sich nicht um eine Sprachstörung im engeren Sinne, sondern das Schweigen ist der Ausdruck für eine tiefere psychische Problematik, die mit anderen psychischen und physischen Auffälligkeiten einhergeht. Daher ist es nötig das Nichtsprechen als Symptomkomplex zu betrachten und zwar vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden eigentlichen Störungen. Hördefizite sind auszuschließen. Weiterhin abzugrenzen sind Formen, die auf einer schweren geistigen Behinderung basieren. Weitere Erscheinungsbilder sind die Aphasie, selektives Schweigen bei frühkindlichem Autismus, Schweigen bei sensorischer (auditive Agnosie) und motorischer (verbale Apraxie) Hörstummheit oder bei Surdomutismus, die vom elektiven Mutismus differentialdiagnostisch abgegrenzt werden müssen.

Der Begriff ,,Mutismus“ leitet sich aus dem Lateinischen ab (,,mutus“ => ,,stumm“). ,,Mutismus“ fällt in den Bereich der Kommunikationsstörungen und beschreibt ein partielles oder vollständiges Schweigen einer Person gegenüber anderen Menschen. Voraussetzung dafür sind allerdings intakte Sprech – und Hörorgane und eine weitgehend abgeschlossene Sprachentwicklung. Unter ,,elektivem Mutismus“ versteht man das Nichtsprechen einer Person gegenüber einem bestimmten Personenkreis oder in bestimmten Situationen. In dieser Form tritt der ,,Mutismus“ fast ausschließlich bei Kindern auf, meistens zu Beginn des Eintritts in den Kindergarten oder in die Grundschule. Die betroffenen Kinder können sprechen, sie schweigen aber beharrlich in bestimmten Situationen, erstarren oder verständigen sich ausschließlich mittels Gesten, Mimik oder schriftlichen Mitteilungen. Symbiotischer Mutismus (=> ,symbiotic mutism‘) : das Merkmal ist eine enge symbiotische Beziehung zu einer Bezugsperson, oftmals die Mutter, die dem Kind verbale Anforderungen abnimmt. Die Familienstruktur ist geprägt durch einen sprachlich dominanten und einen eher passiven Elternteil. Das Kind zeigt eine ablehnende Haltung gegenüber kontrollierenden Situationen und Erwachsenen. Das Verhalten bedeutet keinen inneren Rückzug, sondern drückt das Bedürfnis nach Kontrolle aus. Das Schweigen wird manipulierend eingesetzt, um sich der Kontrolle anderer zu widersetzen. Sprechangst – Mutismus (=> speech phobic mutism) : gekennzeichnet ist dieser Typ durch die Furcht vor der eigenen Stimme, durch das ritualisierte Verhalten bei der Beeinflussung des Sprechens (z.B. Mimik, Gestik) und die Motivation das Sprechen wiederzugewinnen.· Reaktiver Mutismus (=> reactive mutism) : ist die Folgeerscheinung von einem oder mehreren traumatischen Ereignissen des Kindes, z.B. Missbrauch, Misshandlung oder Verletzungen im Mund – und Rachenbereich, die beim Sprecherwerb entstanden sind. Diese Form geht einher mit Depressionen, Suizidgefahr, Sucht etc.. Betroffene Kinder leben oft sehr zurückgezogen, teilweise sogar fast isoliert und sind emotional verarmt. · Passiv – aggressiver Mutismus (=> passive – agressiv mutism) : Schweigen wird hier als eine Art Waffe eingesetzt und drückt Feindseligkeit aus. Häufig zeigen diese Kinder Bereitschaft zu Gewalt und / oder ein antisoziales Verhalten. In der Familie übernehmen sie nicht selten die Rolle des Sündenbocks. Mit Hilfe des Mutismus versuchen sie, außerfamiliär, Schwächere in ihrem sozialen Umfeld zu manipulieren. Mutismus geht nicht selten mit anderen Krankheiten oder psychischen Störungen wie Depressionen, Schizophrenie einher. Es handelt sich beim Mutismus um keine Krankheitseinheit, sondern um ein Symptom, am häufigsten im Sinne einer Angststörung oder oppositionelle Verhaltensstörung. Mutismus,wenn Kinder plötzlich schweigen Verschiedene psychotherapeutische Methoden werden eingesetzt. Selten kann auch eine medikamentöse Behandlung mit Fluoxetin indiziert sein.

Mutismus kommt auch bei neurologischen Erkrankungen vor. Bei der primären progressiven Aphasie (PPA) kommt es meist durch Atrophie der linken posterioren inferioren Frontalregion (Operculum) und anteriorer insulärer Regionen zu Sprach und Sprechdefiziten die als isolierte Defizite bestehen ohne dass für mindestens 2 Jahe weitere Zeichen einer Demenz vorhanden sind. Dieses Syndrom wird in 2 Varianten unterteilt. Bei der ersten Variante der Progressiven nonfluenten Aphasie (PNFA) ist das Sprechen sehr mühsam mit Agrammatismus bei der Sprachproduktion wie beim Verstehen der Sprache. Das Verstehen einzelner Worte ist aber erhalten. Eine Sprachapraxie ist das häufigste Defizit bei der PNFA. Als “Mutismus,” durch Sprachapraxie oder Dysarthrie, bezeichnet man das Fehlen von Sprache oder artikulatorischen Bewegungen der bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie dem M. Parkinson, ALS, progressiver supranukleärer Lähmung, oder frontotemporaler Demenz auftreten kann. Mutismus tritt auch im Endstadium einer Demenz auf. Bei der PNFA, werden die Patienten früh im Verlauf funktionell stumm oder mutistisch, während andere kognitive Funktionen erhalten bleiben.

 

Quellen / Literatur:

Gorno-Tempini, et al., Anatomical correlates of early mutism in progressive nonfluent aphasia; NEUROLOGY 2006;67:1–1 Melfsen S, Warnke A: Überblick zur Behandlung des Selektiven Mutismus. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2007; 6: 399–409.

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur