Emotionale Schwingungsfähigkeit

Auch als affektive Schwingungsfähigkeit bezeichnet. Emotionale Schwingungsfähigkeit drückt eine adäquate Modulationsfähigkeit der Stimmung aus. Dies bedeutet, dass die vom Betroffenen oder Beobachter wahrnehmbaren Emotionen sich angemessen an das Gesprächsthema, die Kontaktsituation anpassen und erkennbar die übliche Bandbreite von Gefühlen ausgedrückt werden kann. In der (wichtigeren) Fremdbeurteilung wird die emotionale Schwingungsfähigkeit nach den mimischen und gestischen Reaktionen (z.B. wenig Gestik, wenig Mimik), und der Anpassung der Stimme (z.B.:leise, monotone Stimme) im Gesprächskontakt beurteilt. Untersucher versuchen dabei positive oder negative Emotionen durch Ansprechen entsprechender Emotionen induzierender Themen zu provozieren, bzw. beurteilen nach den bei solchen Themen beobachteten Emotionen (Situationsangemessenheit). Verharrt der Patient in einer bestimmten Stimmung trotz Wechsel auf ein Thema bei dem eine andere emotional Reaktion erwartet wird, spricht man von verminderter oder aufgehobener affektiver Schwingungsfähigkeit, oder davon dass die Affekte nicht auslenkbar sind. Beachtet wird dabei auch die Promptheit des Wechsels in anderes affektives Ausdruckverhalten. Emotionen können leicht und rasch anspringen, dies kann in der Situation auf eine ungestörte Schwingungsfähigkeit hinweisen. Ein zur rasches Anspringen der Emotionen bei geringeren Anlässen als gewöhnlich, kann aber auch krankhaft sein im Sinne einer Affektlabilität und dann zu einer Behinderung der Kommunikation durch inadäquates und nicht gewolltes Weinen oder Lachen führen. Affektlabilität ist das Gegenteil von Affektstarrheit und kommt besonders bei hirnorganischen Störungen vor. Bei der Beurteilung ist die Untersuchungssituation selbst zu berücksichtigen. Je nach Herkunft, Persönlichkeit und Beziehung zum Untersucher zeigen Menschen Scham oder Scheu, emotionale Regungen vor Fremden zu zeigen. Manche Menschen können Tränen leicht selbst provozieren oder auch eigene Aggressionsausbrüche gut inszenieren. Die Darstellung von Emotionen kann bewusst und auch unbewusst manipuliert werden. Eine verminderte Affektkontrolle, und verminderte Impulskontrolle kann auf eine hirnorganische Störung, Persönlichkeitsstörung oder auf ein bewusstes »sich gehen lassen« hinweisen. Alleine von diesen Merkmalen her lässt sich die Diagnose nicht stellen. Manche Menschen sind durchgehend wenig emotional, dies kann ohne wirkliche Auffälligkeit sein oder im schlimmsten Fall Ausdruck ganz fehlender Empathie beim gefühlskalten Psychopathen sein. Untersucher mit emotionalen Beeinträchtigungen können emotionale Befunde schlechter erheben.

Affektstarrheit oder verminderte emotionale (affektive) Schwingungsfähigkeit werden synonym gebraucht. Affektstarrheit kann sich auch nur auf einzelne Affekte beziehen. Die verminderte emotionale Schwingungsfähigkeit wird von differenzierteren Patienten auch empfunden, sie leiden unter einer Gleichgültigkeit oder mangelnden Gefühlen, muss aber daran leidenden nicht auffallen. Manchen Menschen fallen nur die ungewohnt weniger emotionalen Reaktionen der Umgebung auf, ohne dass die eigene eingeschränkte Emotionalität wahrgenommen wird. Wenn Betroffene ihre verminderte Schwingungsfähigkeit wahrnehmen, dann liegt oft ein „Gefühl der Gefühllosigkeit“ im Rahmen einer Depression vor. Gemeint ist, dass meist positive Emotionen gar nicht mehr empfunden werden, aber auch adäquate Trauer wird nicht mehr empfunden. Oft wird dann aber noch Angst und Hilflosigkeit wahrgenommen.

Die emotionale Schwingungsfähigkeit ist individuell auch bei Gesunden unterschiedlich. Sie ist im normalen sozialen Kontakt eine wesentliche Voraussetzung um beim Gesprächspartner Empathie hervorzurufen und auch um die eigene Empathiefähigkeit zu zeigen und erleichtert damit den Kontakt erheblich. Die Fähigkeit zum Erkennen und Nachempfinden von Gefühlen anderer ist damit bei verminderter emotionaler Schwingungsfähigkeit herabgesetzt. Die Fähigkeit Gefühle ausdrücken zu können, ist in allen sozialen Kontakten bereits ab dem Säuglingsalter sehr bedeutsam. Sie erzeugt Vertrautheit und Vertrauen, ist eine Voraussetzung für Verbundenheit und Geborgenheit. Patienten mit verminderter emotionaler Schwingungsfähigkeit zeigen eine durchgehend gleichbleibende oder verminderte emotionale Reaktion ohne die normalen zur Situation passenden Schwankungen. Ihre Gefühle sind weniger intensiv oder fehlen bei aufgehobener Schwingungsfähigkeit bei schweren Depressionen auch ganz. Die emotionale Schwingungsfähigkeit kann bei Depressionen vermindert sein, und ist dann meist mit einer depressiven, bedrückten oder traurigen Stimmung verbunden. Die wahrnehmbaren Emotionen bleiben dann auch beim Gespräch über an sich erfreuliche Themen, wie z.B. Enkelkinder, auf die der Patient eigentlich stolz ist, depressiv, bedrückt oder traurig. Bei anderen psychischen Störungen wie Manien, Schizophrenien, Demenz oder organischen Psychosyndromen kann auch eine inadäquat heitere Stimmung mit verminderter Schwingungsfähigkeit vorkommen, die emotionale Schwingungsfähigkeit kann aber auch bei Demenz oder Psychosen erhalten sein. Der Patient berichtet beispielsweise über den Verlust seines Arbeitsplatzes oder einer wichtigen Bezugsperson und lacht dabei. Letzteres würde nur dann als verminderte oder aufgehobene Schwingungsfähigkeit bezeichnet, wenn der Affekt durchweg inadäquat fröhlich ist. Ansonsten wird hier auch der Begriff einer parathymen (nicht zur Situation passenden) Stimmung verwendet. Organisch bedingte Einschränkungen der Mimik können eine verminderte Schwingungsfähigkeit vortäuschen. So kann die Mimik und Gestik und Stimmmodulation beispielsweise durch Nebenwirkungen älterer Antipsychotika oder eine Parkinsonkrankheit vermindert sein, obwohl der Betroffene in normalem Rahmen Gefühle empfindet. Die Betroffenen werden dann manchmal als emotional starr empfunden, obwohl sie ein reges Gefühlsleben haben.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur