Botulinumtoxin

(Bild Wirkmechanismus nach Moore P, ed. Handbook of botulinum toxin. Oxford: Blackwell Science, 1995. Action of botulinum toxin at cholinergic nerve terminals.) Botulinumtoxin ist das stärkste bekannte und ein natürlich vorkommendes Gift. Bereits die Aufnahme von wenigen µg ist für den Menschen tödlich. Bekannt und gefürchtet ist das anaerobe Bakterium Clostridium botulinum, da es den so genannten Botulismus verursacht, eine Lebensmittelvergiftung v.a. nach Genuss vergifteter Dosennahrung und Wurst aus Hausschlachtungen. Das Toxin führt zu einer irreversiblen Hemmung der Acetylcholinausschüttung aus den präsynaptischen Vesikeln und somit einer Unterbrechung der Impulsübertragung vom Nerven auf den Muskel. Es kommt zu Lähmungen der quergestreiften, aber auch glatten Muskulatur. Die katasthropale Wirkung der unkontrollierten Einnahme des Lebensmittelgiftes auf den Menschen war bereits im Mittelalter bekannt. Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb Justinus Kerner (1786–1862) das klinische Bild des Botulismus. der typischen Lebensmittelvergiftung. 1897 entdeckte Piere Emile van Ermengem (1851–1932)das Bakterium Clostridium botulinum. Der Wirkmechanismus des Giftes wurde 1949 von Arnold S.V. Burgen von der Department of Defense Biological Warfare Installation in Camp Detrick entdeckt. Therapeutisch nutzte das Toxin erstmals 1980 der Augenarzt A.B. Scott aus San Francisco zur Behandlung des Strabismus. Zu einem breiteren Einsatz der Substanz kam es erst zirka 10 Jahre später. So begannen 1982 verschiedene Arbeitsgruppen mit dem Einsatz beim Blepharospasmus und Hemispasmus facialis und ab 1984 wurde das Toxin auch bei komplexeren Dystonien (z.B. Torticollis spasmodicus) eingesetzt. Eingesetzt wird es derzeit überwiegend bei Hemispasmus facialis, Blepharospasmus, rotatorischer Torticollis spasmodicus, spastischer Spitzfuß bei ICP, Latero-, Retro- und Anterocollis, Spastik, Gliederdystonie (z.B. Schreibkrampf), spasmodische Dysphonie, Analfissur, Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, oromandibuläre Dystonie, Hyperhidrosis, Strabismus. Bei anderen Indikationen befindet es sich in der Prüfung. bei intramuskulären Injektionen beginnt die Wirkung nach 2-3 Tagen und erreicht nach etwa zwei Wochen ihr Maximum und beginnt nach etwa zweieinhalb Monaten langsam abzuklingen. Injektionen in Schweißdrüsen können eine zum Teil deutlich längere Wirkung entfalten. Die heavy (H) chain des Toxins bindet selektiv und irreversibel zu hochaffinen Rezeptoreb an der presynaptischen Oberfläche cholinerger Neurone, und der Toxinrezeptor- Komplex wird per Endozytose in die Zelle aufgenommen. Die Disulfid- Brücke zwischen den beiden Ketten wird aufgebrochen und das Toxin entweicht ins Zytoplasma. Die light (L) chains der 7 Serotypen interagieren mit verschiedenen Proteinen (synaptosomal associated protein (SNAP) 25, vesicle associated membrane protein (VAMP) and syntaxin) in den Nervenendigungen und verhindern die Fusion der Acetylcholin Bläschens mit der Zellmembran und verhindern so die Ausschüttung von ACH. In wie weit Botulinumtoxin bei Kopfschmerzsyndromen wie Kopfschmerz vom Spannungstyp, Migräne, Clusterkopfschmerz und myofaszialen Schmerzsyndromen im Bereich des Nackens, Schultergürtels und des Rückens wirkt ist weiter offen und Gegenstand von Studien. Als Nebenwirkungen werden Mundtrockenheit, Schluckstörungen, Verschwommensehen, Schmerzen an der Injektionsstelle und Doppelbilder sowie Müdigkeit berichtet. Die Nebenwirkungsprofile der verschiedenen BT-Typ-A-Präparationen sind weitgehend identisch. Bei BT Typ B zeigen sich häufig zusätzlich systemische autonome Nebenwirkungen. Langzeitbehandlungen rufen keine zusätzlichen Nebenwirkungen hervor. Gegen Botulinumtoxin können Antikörper gebildet werden, die die biologische Wirkung ganz oder teilweise blockieren. Das Risiko einer Antikörper-Bildung hängt wesentlich ab von der Menge, die bei jeder Injektions- Serie appliziert wird, vom Intervall zwischen den BT-Injektions-Serien und von der spezifischen biologischen Aktivität der BT-Präparation.

Botulinumtoxin kann als Therapie der ersten Wahl eingesetzt werden bei
– zervikaler Dystonie, – Blepharospasmus, – hemifazialem Spasmus
Botulinumtoxin kann als Therapie in Betracht gezogen werden bei
– fokaler Spastik der oberen und unteren Extremität im Erwachsenen- und Kindesalter, – fokalen dystonen Syndromen (oromandibulär, Schreibkrampf, spasmodische Dysphonie), – Achalasie, – chronischen Analfissuren
Botulinumtoxin kann überlegt werden, wenn andere Behandlungsmethoden keinen Erfolg bringen bei
– fokaler Hyperhidrose der Achseln und Handflächen, – gustatorischem Geschmacksschwitzen, mit fraglichem Erfolg bei Schmerzsyndromen,

 

Quellen / Literatur:

D. Dressler Pharmakologische Aspekte therapeutischer Botulinum- Toxin-Präparationen Nervenarzt 2006 · 77:912–921 DOI 10.1007/s00115-006-2090-2. Stolman LP. Treatment of hyperhidrosis. Dermatol Clin. 1998;16:863-867. Heckmann M, Ceballos-Baumann AO, Plewig G. Botulinum toxin A for axillary hyperhidrosis (excessive sweating). N Engl J Med. 2001;344:488-493. Schwetz BA. First drug for cervical dystonia. JAMA. 2001;285:724. Brin MF, Lew MF, Adler CH, et al. Safety and efficacy of NeuroBloc (botulinum toxin type B) in type A–resistant cervical dystonia. Neurology. 1999;53:1431-1438. Brashear A, Lew MF, Dykstra DD, et al. Safety and efficacy of NeuroBloc (botulinum toxin type B) in type A–responsive cervical dystonia. Neurology. 1999;53:1439-1446. Lew MF, Adornato BT, Duane DD, et al. Botulinum toxin type B: a double-blind, placebo-controlled, safety and efficacy study in cervical dystonia. Neurology. 1997;49:701-707.

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur