Zervikogener Kopfschmerz

Als zervikogenen Kopfschmerz (auch: cervicogener oder cervikogener Kopfschmerz) bezeichnet man Kopfschmerzen, deren Ursache im Bereich des Halses und Nackens (Halsmuskulatur, übrige Halsweichteile, Halswirbelsäule).

Allgemeines

Der Begriff „cervikogener Kopfschmerz“ (CEK) wurde von dem norwegischen Arzt Dr. O. Sjaastad 1983 geprägt für eine Untergruppe von Patienten mit gleichzeitigen Kopf- und Nackenschmerzen. In seiner Intensität wechselnder Dauerschmerz und/oder Schmerzattacken variabler Dauer, streng einseitig, seitenkonstant.

Mittelschwerer, nicht pulsierender, nicht lanzinierender Schmerz, Schmerzausstrahlung vom Hinterhaupt nach dem Auge, Stirn und Schläfe, Schmerzprovokation durch Kopfbewegung oder Druck auf Triggerpunkte, eingeschränkte HWS-Beweglichkeit, manchmal Beginn nach Bewegungen der Halswirbelsäule. Nicht radikuläre Schmerzen in Arm und Schulter. Die Kopfschmerattacken können manchmal durch Druck auf Triggerpunkte im Nacken ausgelöst werden. Frauen sind häufiger als Männer betroffen.

Seltene und im Gegensatz zur Migräne nur leicht bis mäßig ausgeprägte Phänomene bei Attacken: Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Benommenheitsschwindel, auf der betroffenen Seite „Verschwommensehen“ und Schwellung ums Auge. Als Bestätigung der Diagnose gilt eine reproduzierbare Wirkung einer anästhesiologischen Blockade des N. occipitalis major, des medialen Astes des Ramus dorsalis der Wurzel C2. (Pain. 1992 Oct;51(1):43-8). Hingegen haben Indometacin und Triptane keine oder nur eine geringe Wirkung.

Manualdiagnostik beschäftigt sich mit den muskulären, cutanen und subcutanen klinischen Zeichen und sogenannten Blockierungen bei Patienten mit Nacken- und Hinterkopfschmerzen. Bis heute ist ungeklärt und strittig, ob derartige Befunde bei bestimmten Kopfschmerzsyndromen eine „spezifische“ diagnostische Bedeutung haben.

Zervikogene Kopfschmerzen können auch im Röntgenbild völlig unauffälliger Halswirbelsäule auftreten und nach der derzeitigen Definition gelten auch deutliche Veränderungen der Halswirbelsäulenstruktur nicht als sicherer Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang mit der Kopfschmerzsymptomatik. (Curr Pain Headache Rep. 2010 Jun;14(3):238-43)

Auch die Bedeutung einer „Manualtherapie“ beim CEK ist nicht schlüssig geklärt. Dass solche Therapien überschätzt werden, zeigt eine Studie, die in einem doppelblinden Design bei Patienten mit chronischen Nackenschmerzen keine signifikanten Unterschiede zwischen manualtherapeutisch Behandelten gegenüber einer Kontrollgruppe verifizieren konnte. Derzeit sollten Patienten mit einem zervikogenen Kopfschmerz außerhalb kontrollierter Studien noch keiner operativen Intervention unterzogen werden, da allgemein anerkannte, wirksame und im Verlauf kontrollierte Verfahren fehlen.

Bei „erfolgreichen“ Eingriffen ist oft die Katamnese (Überprüfung des Behandlungserfolgs nach der Behandlung) zu kurz, die nicht seltenen Rezidive entgehen der Beurteilung. Das heißt: Operationen sind hier bisher allenfalls Experimente mit großen Risiken und ohne wirklich belegten Erfolg.

Differentialdiagnose

Wann man auch an andere dringlich behandlungsbedürftige Ursachen denken muss und zur differenzialdiagnostischen Abklärung in jedem Fall sofort zum Arzt gehen sollte:

  • Wenn sich die Kopfschmerzen im Laufe der Zeit verschlimmern.
  • Plötzlicher Beginn starker Kopfschmerzen.
  • Kopfschmerzen mit hohem Fieber, Nackensteife oder neu aufgetretenem Hautausschlag.
  • Beginn der Kopfschmerzen nach einem Schädeltrauma.
  • Sehstörungen oder massiver Schwindel.

Der zervikogene Kopfschmerz gehört mit ca. 4-5% zu den eher selteneren Kopfschmerzformen und wird nur selten korrekt diagnostiziert.

Ursachen

Die Erfahrung hat gezeigt, dass röntgenologische Auffälligkeiten in der Regel unspezifischer Natur (z.B. Spondylose oder Osteochondrose) sind. Es ist daher weder ein auffälliger Röntgen- oder CT-Befund ein Beweis für einen zervikogenen Kopfschmerz, noch schließt ein unauffälliger bildgebender Befund einen zervikogenen Kopfschmerz aus.

Es besteht heute Übereinstimmung darin, dass radiologisch fassbare degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule nicht obligat mit Schmerzen korreliert sind. Auch aufwendigere Bildgebung mit Kernspintomogrammen hilft bei der Diagnostik nicht immer weiter.

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass die Schmerzen in erster Linie auf pathologische Veränderungen der knöchernen Strukturen oder der Bandscheiben zurückzuführen sind. Dies ist der Grund, warum degenerativen Veränderungen der HWS im Röntgenbild oft ein zu hoher Stellenwert zugeschrieben wird. Kernspintomographisch nachgewiesene Bandscheibenprotrusionen sind bei zervikogenem Kopfschmerz genauso häufig wie bei Menschen ohne diesen Kopfschmerz (Coscun et al. 2003).

Auch immer wieder angeschuldigte Verletzungen der Ligamenta alaria und der Ligamenta transversa sind meistens nicht ursächlich für den cervikogenen Kopfschmerz nach Traumen (JKnackstedt et al. 2012).

Die Ursachen scheinen vielfältig, es handelt sich vermutlich um kein einheitliches Krankheitsbild.

Nicht selten besteht in der Vorgeschichte ein Schädel- oder HWS-Trauma. Umgekehrt äußert sich der posttraumatische Kopfschmerz nicht überwiegend als zervikogener Kopfschmerz, sondern kann sich auch in Form von Spannungskopfschmerzen oder selten in Form verstärkter Migräne äußern.

Für die Chronifizierung der posttraumatischen Kopfschmerzen spielt der Analgetikamissbrauch wie bei anderen Kopfschmerzentitäten eine große Rolle, ebenso psychosoziale Faktoren wie lange dauernde Versicherungsauseindersetzungnen.

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur