Dyskinesie

Verzerrung von willkürlichen Bewegungen durch unwillkürliche Muskelaktivitäten. Paroxysmale kinesigene Dyskinesien (PKD) sind seltene Dyskinesien, die bei den Betroffenen durch eine Willkürbewegung ausgelöst werden und sich durch unilaterale oder bilaterale Chorea, Choreaathetose, Ballismus, oder dystone Haltung zeigen. Das Syndrom ist oft familiär, bzw. erblich, sporadische Fälle kommen ebenfalls vor. PKD kann auch sekundär zu verschiedenen Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen auftreten und mit Behandlung dieser Stoffwechselstörungen wieder verschwinden. Bekannt ist ein Auftreten im Rahmen von Multipler Sklerose, nach Schlaganfällen, frühkindlicher Hirnschädigung, Drogenmissbrauch, Diabetes mellitus, Hypoparathyroidismus, und Hyperthyroidismus. Tardive Dyskinesie (Spätdyskinesie) Potentiell irreversible, spät einsetzende extrapyramidale Symptome der Bewegungsstörung, die häufig durch die Langzeitanwendung von Standardantipsychotika verursacht werden. Zu den Manifestationen gehören unwillkürliche Bewegungen von Mund, Zunge, Lippen, Gliedmaßen und Rumpf. Sich wiederholende Kau- Schmatz- und Schluckbewegungen sind am häufigsten, die Zunge kann oft nicht mehr gerade aus dem Mund gehalten werden (Frühzeichen), Kopf und Rumpfbewegungen kommen ebenfalls vor. Die Behandlung kann schwierig sein, und länger anhaltende Symptome resultieren häufig in einer Nichteinhaltung oder dem Absetzen der Antipsychotika-Behandlung. Tardive Dyskinesien treten bei Rauchern häufiger auf als bei Nichtrauchern. Die Angaben zur Häufigkeit dieser schweren Nebenwirkung der Neuroleptika gehen weit auseinander. Bei stationären Patienten schwanken die Angaben zwischen 0,5 bis 70% Durchschnittlich sollen nach Metaanalysen unter klassischen Antipsychotika etwa 20% der Patienten eine Tardive Dyskinesie haben, bzw. entwickeln, bisher unbehandelte Patienten mit einer Schizophrenie sollen in 5% unter tardiven Dyskinesien leiden. Bei Absetzen der Antipsychotika sollten Patienten die an tardiven Dyskinesien leiden schneller Rezidive erleiden als Patienten ohne Dyskinesien. Die Dyskinesien werden häufig bei Erhöhung der Neuroleptikadosis maskiert um dann bei Reduktion der Dosis wieder aufzutreten. Manche Autoren stellen einen Zusammenhang zwischen tardiven Dyskinesien den in der Literatur umstrittenen Supersenstitivitätspsychosen her. Unstrittig ist, dass unter Atypika erheblich weniger Dyskinesien zu erwarten sind, als unter den klassischen Antipsychotika. Ob Clozapin überhaupt tardiven Dyskinesien auslöst ist umstritten. Wirklich zuverlässige Vergleichszahlen zwischen Atypika und klassischen Antipsychotika gibt es noch nicht. Sicher ist, dass die Anzahl der Patienten mit tardiven Dyskinesien in den letzten Jahren seit Einführung der Atypika deutlich zurückgegangen ist. Die Behandlung mit Atypika ist also möglicherweise vorbeugend. Frauen, Patienten mit (auch begleitenden) affektiven Störungen und Alterspatienten sind besonders gefährdet. Auch Begleiterkrankungen wie Diabetes m., oder Hirnschäden wirken begünstigend. Die manchmal bleibenden Spätdyskinesien sind nicht nur ein medizinisches sondern auch ein soziales Problem. Sie tragen erheblich zur Stigmatisierung psychisch Kranker bei. Langsame Aufdosierung und langsame Dosisreduktioen können das Risiko vermindern. Therapeutisch wird meist umgestellt auf Clozapin, manchmal hilft Tiaprid oder Nitoman, manchmal sind auch Botulinumtoxinbehandlungen möglich. Dyskinesien zählen zu den stark beeinträchtigenden und auch stigmatisierenden Nebenwirkungen, die in besonderem Maße bei den konventionellen Neuroleptika auftreten. Wenig bekannt ist, offensichtlich Menschen die an einer Schizophrenie leiden bereits im Rahmen der Erkrankung ein erhöhtes Dyskinesierisiko haben. Manche Autoren hatten deshalb schon vermutet, dass die Spätdyskinesien gar keine Nebenwirkung der Behandlung sei, sondern ein Symptom im Rahmen der Erkrankung. Neuere Untersuchungen, die ein eindeutig geringeres Risiko unter Atypika nachweisen, bezeugen allerdings das Gegenteil. Besonders empfindlich für diese Nebenwirkung sind Menschen über 50 Jahren. Währen im Durchschnitt von einem Risiko von 5% pro Jahr ausgegangen wird, ist dieses Risiko bei Menschen über 50 Jahren 25%, 34%, und 53% nach 1, 2, und 3 Jahren kumulativer Einnahme von konventionellen Neuroleptika. In einer Untersuchung in Estland hatten von 99 chronischen institutionalisierten schizophrenen Patienten im Alter zwischen 8–65 Jahren, die mit konventionellen Neuroleptika (79.8%) oder Clozapin (20.2%)behandelt wurden 61.6% Bewegungsstörungen 31.3% hatten eine Neuroleptika-induzierte Akathisie, 23.2% hatten ein Neuroleptika- induziertes Parkinsonoid und 32.3% Neuroleptika- induzierte Spätdyskinesien. In einer Metaanalyse betrug die jährliche Inzidenz von Spätdyskinesien bei den Atypika 0% bei Kindern und 0.8% (range=0.0%–1.5%) bei den Erwachsenen, 6.8% in einer gemischten alten Bevölkerung und 5.3% (range=0.0%–13.4%) bei Patienten über 54 Jahren. Bei Erwachsenen betrug die Inzidenz unter Haloperidol 5.4% (range=4.1%–7.4%). Zitat aus Leucht et al.,NeuroTransmitter 11·2003 Seite 51 ff.: Dabei zeigte sich, dass unter einer Langzeitbehandlung mit konventionellen Neuroleptika die Inzidenz von Spätdyskinesien (ca. 5% pro Jahr) fünfmal höher war als unter Atypika (ca. 1% pro Jahr). Hochgerechnet bedeutet dies, dass nach fünf Jahren rezidivprophylaktischer Behandlung bei ca. 25% der mit Typika behandelten Patienten Spätdyskinesien auftreten, während unter Atypika nur ca. 5% der Patienten unter diesen schwerwiegenden Nebenwirkungen zu leiden hätten. Möglicherweise lassen sich stark behindernde Spätdyskinesien durch bilaterale Tiefenhirnstimulation im Globus pallidus erfolgreich behandeln. Jedenfalls war eine erste Studie diesbezüglich erfolgreich.

 

Quellen / Literatur:

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur