Dysmorphophobie

Auch als „Körperdysmorphe Störung“, “dermatologische Hypochondrie,” „eingebildete Hässlichkeit“, “Schönheitshypochondrie, ”Hässlichkeitskümmerer“ bezeichnet. Ein attraktiver Körper und ein attraktives Äußeres wirkt nicht nur bei der Partnerwahl anziehend sondern erleichtert auch sonst soziale Kontakte und befördert den Schulerfolg und die Karriere. Ein gewisses Bemühen um die eigene Attraktivität ist damit auch gesund. Hierbei gibt es allerdings auch gesunde Grenzen, außerhalb derer die Akzeptanz des eigenen Körpers, so wie er ist, eine der wichtigsten Vorraussetzungen für seelische Gesundheit und Selbstbewusstsein ist. Menschen mit Körperdysmorphen Störungen sind im Durchschnitt nicht häßlicher oder attraktiver als andere Menschen, sie beschäftigen sich aber sehr intensiv mit einem eingebildeten Mangel oder einer Entstellung in der äußeren Erscheinung. Wenn die Überbewertung des empfundenen Mangels zu einer Beeinträchtigung im Leben führt, wird daraus eine oft schwere psychische Störung. Der italienischen Psychiater Enrico Morselli prägte den Begriff Dysmorphophobie 1891; er beschrieb das Krankheitsbild erstmals 1886. Er plädierte dafür das Krankheitsbild in seiner Eigenständigkeit als von den Psychosen getrennt zu bewerten. Nach Küchenhoff legte er 3 bis heute gültige psychopathologische Kriterien fest: Die wahnhafte Überzeugung von einem körperlichen Defekt, die Scham gegenüber den Mitmenschen und die sexuelle Hemmung. Janet 1903 beschrieb das Krankheitsbild hauptsächlich an jungen Frauen die befürchteten, dass sie wegen ihres Aussehens nie eine Liebhaber finden würden und Kraepelin 1909–1915 legte den Schwerpunkt seiner Beschreibung auf die extreme Scham, die die Patienten empfinden.

Körperdysmorphe Störungen beginnen meist langsam progredient im jugendlichen Alter. Viele der Betroffenen entwickeln sich auch sonst zu Ästheten, und manche suchen sich auch ein entsprechendes Berufsfeld, (überzufällig häufig unter Graphiken, Architekten, Kunsthistorikern, Künstlern). Betroffene stehen oft stundenlang vor dem Spiegel, und betrachten und vergleichen ihre „Auffälligkeiten“, sie suchen entsprechende Internetforen und beschäftigen sich extensiv mit den Möglichkeiten der kosmetischen Chirurgie. Das gestörte Köperbild hat oft seine Grundlage in Hänseleien und Mobbing in der Kindheit und Jugend. Die Störung führt zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualtiät, Betroffene isolieren sich häufig (manche gehe gar nicht mehr außer Haus), sind häufig ängstlich und depressiv und denken oft an Selbstmord. Sie führen dabei meist ihre ganzen Probleme auf ihr Aussehen zurück. Gefördert wird dies durch das reichliche Angebot an Propagation von kosmetischen Eingriffen in den Medien. In der Umgebung wird das Problem meist trivialisiert, nicht ganz selten finden sich Angehörige oder Partner die die kosmetischen Eingriffe in der irrigen Hoffung, dass dann alles gut werde, finanzieren wollen.

Diagnosekriterien nach DSM IV

A: Eine übermäßige Beschäftigung mit einem eingebildeten Mangel oder einer Entstellung in der äußeren Erscheinung. Wenn eine leichte körperliche Anomalie vorliegt, so ist die Besorgnis der betroffenen Person stark übertrieben.
– B: Die übermäßige Beschäftigung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen.
– C: Die übermäßige Beschäftigung wird nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt. (inbes., Unzufriedenheit mit der allgemeinen Köperform oder Größe bei Anorexia nervosa).

In der Allgemeinbevölkerung gehen Studien von 0,7 bis 2,2% Erkrankten aus. Dysmorphophobie ist damit häufig und wird aber selten diagnostiziert. Untersuchungen in Hautarztpraxen fanden 12% der Patienten litten an dieser Störung. Bei kosmetischen Chirurgen sollen es je nach Untersuchung 6%, 7%, oder 15% sein. Bei Zwangsstörungen wird von einer Komorbidität von 8%–37%, Bei sozialer Phobie von 11%–13%, bei Trichotillomanie 26% der Patienten, und bei 14%–42% der Patienten mit atypischer Depression. Auch bei anderen psychischen Störungen wird ein gehäuftes Vorkommen berichtet. Es handelt sich um eine in der Regel chronische Störung. Die spontanen Remissionsraten sind geringer als bei Persönlichkeitsstörungen, depressiven Störungen oder Angststörungen. (K.A. Phillips 2006). Dysmorphophobie führt häufig zu Suizidgedanken, bei einer Beobachtung über 4 Jahre berichteten durchschnittlich 57,8% der Betroffenen pro Jahr über Suizidgedanken, 2,6% der Betroffenen machten pro Jahr einen Suizidversuch.

Dysmorphophobie heißt „Missgestaltsfurcht“ und beinhaltet die zwanghafte Vorstellung, durch wirkliche oder vermeintliche Körperfehler v.a. im Bereich von Kopf, Nase, Kinn, Brust, Penis, unter den Menschen unangenehm aufzufallen. Meist besteht das subjektive Gefühl der Hässlichkeit oder Missgestaltung trotz normalen Aussehens. Beim realen Vorliegen einer leichten körperlichen Abnormität wie beispielsweise Muttermal, Ohrmuscheldeformität, Pubertätsakne, chronischem Hautleiden, Tragen einer Brille, Andersfarbigkeit der Haut, spricht man in Anlehnung an Thersites, den hässlichsten Mann im Heer vor Troja, auch vom Thersites-Komplex. Analog beschrieben wird das Muskeldysmorphie-Syndrom, Betroffen sind hauptsächlich sehr muskulöse Männer, die häufig in Fitnessstudios Gewichtheben trainieren. Aufgrund einer gestörten Körperwahrnehmung glauben diese Patienten, dass sie nur eine gering ausgebildete Muskulatur besitzen. Darüber hinaus besteht bei den Männern oft die Befürchtung, Fett anzusetzen.

Fragen die helfen die Diagnose zu stellen:

  • Grübeln Sie über das Aussehen ihres Köpers oder Gesichtes?
  • Wenn ja, über was machen Sie sich Sorgen? Wie schlecht sehen nach ihrer Ansicht ihr Gesicht oder Teile ihres Körpers aus?
  • Wieviel Zeit verbringen Sie mit dem Grübeln über ihr Aussehen oder die Auffälligkeiten ihres Köpers oder Gesichtes?
  • Haben Sie etwas unternommen um das Problem vor anderen zu verbergen oder zu beheben?
  • Beeinträchtigt die Sorge um Ihr Aussehen ihr Leben (z.B.: Schule, Beruf, Kontakte)?

Aufgrund der bis ins Wahnhafte reichenden Realitätsüberzeugung sind die Adressaten dysmorphophober Patienten weniger Psychiater und Psychotherapeuten als Dermatologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Zahnärzte, und plastische Chirurgen. Operative und dermatologische Behandlungen verschlimmern in der Regel die Symptome. Unzufriedene Patienten klagen oft und werden manchmal auch gewalttätig. In einer Studie mit 289 Betroffenen (250 Erw. und 39 Kinder/Jugendl) suchten 3/4 um eine organische Behandlung nach, 45% der Erwachsenen wurden hautärztlich und 23.2% chirurgisch behandelt, nur sehr selten trat hierdurch eine Besserung der körperdysmorphen Störung ein, die Anzahl der Verschlechterungen war größer als die Anzahl der Besserungen. Insgesamt gelten nicht psychiatrische Behandlungen als weitgehend wirkungslos.

SSRI und Clomipramin sind in Studien wirksam, bis zu effektivem Ansprechen braucht es hier aber oft 12 bis 16 Wochen, ein Wechsel des SSRI scheint bei Wirkungslosigkeit sinnvoll zu sein, manche Patienten sprechen erst auf den 4. SSRI an. In wenigen Fällen ist die zusätzliche Gabe einen Antipsychotikums wirksam und sinnvoll. Auch die meisten als wahnhaft diagnostizierten Patienten sprechen auf eine alleinige antidepressive Behandlung an. Ebenso wirksam ist kognitive Verhaltenstherapie und Expositionstraining.

 

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur