exekutive Funktionen

Planen, Problemlösen, Handlungskontrolle, Steuerung von Motivation und Emotionen fasst man als exekutive Funktionen zusammen. Wesentlicher Bestandteil ist die Nutzung von Kontextinformationen um Handlungsentwürfe und Handlungen zu implementieren, die angepasst sind an die gegenwärtige Situation und Umwelt. Exekutive Funktionen umfassen die bewusstseinsnahe Steuerung und Zielüberwachung komplexer, nicht automatisierter Verhaltensweisen, bei denen es gilt, mehrere kognitive Aspekte zu koordinieren. Hierzu gehören Bereiche wie Aufmerksamkeitsfokussierung, Arbeitsgedächtnis, Inhibition, Aufgabenmanagement, Planen, Monitoring und Kodierung von Informationen. „Executive Funktionen“ fassen ein weites Spektrum von mentalen Prozessen zusammen, die bei der Initiation und der Aufrechterhaltung der reibungslosen Informationsverarbeitung und koordinierten Aktionen des zentralen Nervensystems bedeutsam sind. Das schließt strategische Prozesse, wie Aufmerksamkeitsfokussierung und Zielformulierung und -aufrechterhaltung, Abwägungen und Wertungen, wie on-line Leistungsüberwachung ein. Manchmal wird dabei unterschieden zwischen motivierter Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit für Handlungen, oder Fehlerentdeckung. Nach fMRI Untersuchungen handelt es sich bei letzterem allerdings weniger um eine überwiegende Fehlerentdeckung als um eine Suche nach Konflikten beispielsweise in Konkurrenzsituationen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass diese Funktionen in der präfrontalen Hirnrinde koordiniert werden, bei Störungen spricht man deshalb auch häufig von einem „Frontalhirnsyndrom“, oder „dysexekutiven Syndrom“.

Die Frontallappen (Stirnhirn) nehmen in der Entwicklungsgeschichte zum Menschen eine immer wichtigere Funktion ein und sind deshalb im Verhältnis zu anderen Hirnteilen auch unverhältnismäßig stark gewachsen im Vergleich zu unseren tierischen Vorfahren. Involviert ist dabei besonders die anteriore Cingulumrinde, die im medialen frontalen Cortex neben dem Balken lokalisiert ist. Die anteriore Cingulumrinde ist reich an bidirektionalen Verbindungen mit dem Frontal-, Parietal- und Temporallappen, und den entorhinalen Assoziationgebieten sowie den Amygdala. Störungen von Exekutivfunktionen bzw. dysexekutive Symptome werden als typische Folgen präfrontaler Läsionen angesehen und traditionell dem „Frontalhirnsyndrom“ zugeordnet. Dieses beinhaltet zusätzlich Beeinträchtigungen von Motivation und Antrieb, Impulskontrollverlust, Änderungen der Affektivität und der individuellen Verhaltensmerkmale, eine vermehrte Umweltabhängigkeit (Imitation Behavior, Utilization Behavior) sowie ein mangelndes Störungsbewusstsein (Anosognosie). Allerdings kommen alle genannten Symptome auch nach extrafrontalen Läsionen vor und können in sehr unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Dadurch ist der Begriff „Frontalhirnsyndrom“ nur bedingt hilfreich. Bei Störungen sind vor allem folgende Funktionen beeinträchtigt:

1.Arbeitsgedächtnisses mit der Fähigkeit geistige oder vorgestellte Objekte im Kopf zu behalten und dort diese zu verändern. Damit auch die Fähigkeit mentale Objekte mit ihrer Geschichte und Zukunft in die Zeit eingebettet zu ordnen.
2. Der Regulation von Affekten(Gefühlen) und Arousal, hierdurch kann der Affekt vom Antwortverhalten getrennt werden, es wird die Möglichkeit eröffnet „vernünftig“ zu handeln.
3. Der Internalisation von Sprache (oder des verbalen Arbeitsgedächtnisses) ermöglicht eine bewusste innere verbale Beschreibung und Reflexion die eine Selfinstruktion möglich macht. Hierdurch kann man seinen eigenen Regeln oder den Regeln Anderer oder der Gesellschaft folgen
4. Der Herstellung oder die Synthese eines Verhaltensplans, der es einer Person ermöglicht eine kreative Antwort auf eine Situation zu finden, die aus dem eigenen Verhaltensrepertoire ausgewählt wird.

Wesentlich für die Funktion des exekutiven Systems ist dabei, dass zunächst die quasi instinkthafte gefühlsmäßige Verhaltensantwort im Sinne eines automatischen Reflexes auf eine gefühlsmäßige Wahrnehmung gehemmt wird. Diese Hemmung des direkten Anwortverhaltens verhindert, dass nicht relevante Ablenkungen unser Verhalten bestimmen. Hierdurch wird es auch möglich, trotz Pausen den Faden wieder aufzunehmen ohne den Fokus unserer Aufmerksamkeit zu verlieren. Diese Hemmung des direkten Anwortverhaltens bedeutet, dass wir uns sagen könne: Halt inne, seh hin, hör zu, überlege bevor du handelst. Hierdurch wird zielgerichtetes Lernen und Handeln möglich.

Executive Funktionen sind beispielsweise bei ADHS oder ADS gestört. Es handelt sich bei ADS und ADHS damit nicht nur um eine Störung der Aufmerksamkeit sondern um eine Störung in der Verarbeitung des Wahrgenommenen die zu fehlerhaftem Verhalten oder zu Fehlverhalten führt. Störungen dieser exekutiven Funktionen führen entsprechend zu mangelndem Antrieb und mangelnden Fähigkeiten für Planungen und Handlungen und deren Überwachung, die Zielgerichtetheit und Zweckmäßigkeit von Aktivitäten ist gestört. Es besteht bei ADHS eine defizitäre Hemmung motorischer Verhaltensantworten als wesentlicher Teil der Störung der exekutiven Funktionen. Diese defizitäre Hemmung (unüberlegter) motorischer Verhaltensantworten ist eine wichtige exekutive Funktion, die ins Spiel kommt, wenn es darum geht, ein bereits begonnenes oder geplantes motorisches Antwortverhalten zu unterbrechen wenn die äußeren Umstände dies gebieten oder sich die Absicht geändert hat. Auch Väter von ADHS Kindern sollen hier häufig Defizite haben, auch dann, wenn sie nicht von ADHS betroffen sind, bzw. die entsprechenden Kriterien nicht erfüllen. (Am J Psychiatry 2009; 166:711–717 [Abstract] Situationen werden nicht mehr korrekt eingeschätzt. Die Tagesstruktur und Terminplanung sind gestört. Das Lernen aus Fehlern und die flexible Anpassung der eigenen Aktivitäten an (geänderte) externe bzw. interne Bedingungen ist beeinträchtigt. Antriebsverlust, Interesselosigkeit und gefühlsmäßige Gleichgültigkeit (affektive Indifferenz) können mit Aggressivität und sozial schlecht angepasstem Verhalten gepaart sein. Im Kontakt kann eine mangelnde Einfühlung (Empathie) und Distanzlosigkeit sehr störend sein. Handlung werden bei Erreichen des Handlungsziels nicht mehr beendet. Unter einer Störung der exekutiven Kontrolle versteht man damit eine Störung in der sequenziellen Organisaton von mehrgliedrigen Aktionen, beispielsweise Aufgaben im Alltag. Bei Störung der exekutiven Funktionen wirken Menschen gleichgültig, interesselos; sie können nicht wollen. Planung, Überlegung, und Abschätzung der Folgen einer Handlung finden nicht oder in zu geringem Maße statt. Eine vermehrte Ablenkbarkeit und die Neigung sich kritiklos zu sozial unerwünschten Handlungen verführen zu lassen können bestehen.

Nicht bei jeder Störung sind alle Funktionen betroffen, je nach Symptomschwerpunkten unterscheidet man 3 Unterformen des Frontalhirnsyndrom: die „dysexekutive“ Form nach einer Schädigung dorsaler präfrontaler Strukturen, die „disinhibierte“ Form nach einer Schädigung orbitaler Strukturen und die „apathische“ Form nach einer Schädigung medialer Strukturen. Ein Model ist, dass das Gehirn über frontalen Kortex seine eigenen Funktion auf einer ad hoc Basis überwacht und regelmäßig an die Erfordernisse anpasst. Widersprüche werden hier entdeckt und eine Anpassung und Korrektur gesteuert. Störungen der exekutive Funktionen spielen bei der Schizophrenie und der Zwangsstörung eine wesentliche Rolle. Bei der Routineuntersuchung werden manchmal bei Verdacht bestimmte Aspekte der Exekutiven Störung die auf eine ‚Frontalhinsschädigung hinweisen geprüft: z.B.: Störungen des Greifverhaltens Greifreflex: Handinnenfläche bestreichen – wird Faustschluss ausgelöst? Kann Hand von der Stuhllehne, Bettdecke, vom Bettgalgen gelöst werden? Zwangsgreifen und Nachgreifen (auf Zeigen eines Objekts = Magnetreaktion). Utilisation (Gebrauchsverhalten, Hypermetamorphosis) Verhaltensbeobachtung („tändeln“) oder direkte Prüfung. Untersucher streicht wortlos Alltagsobjekte über Handflächen des Patienten und entfernt sie rasch. Patient greift danach und nimmt auch andere vorgehaltene Objekte in Verwendung. Imitationsverhalten, Echopraxie: Verhaltensbeobachtung, ggf. direkte Prüfung: „Ich möchte, dass Sie genau das machen, was ich sage. Berühren Sie bitte Ihr Ohr.“ ( Untersucher berührt die eigene Nase und hält den Finger dort) Alternativ: unerwartetes Händeklatschen, demonstratives Auf- und Abbewegen der Hand, während Patient diese benennen soll. Selbstgeneriertes Verhalten: Verhaltensbeobachtung, ggf. Prüfung z.B. mit einer Variante des Uhrentests: Es wird kein bereits gezeichneter Kreis vorgegeben, sondern die gesamte Aufgabe wird verbal instruiert und die eigenständige Zeichnung beurteilt. Unterdrückung einer vorgebahnten Antwort: Go – No Go: Untersucher klopft I x – Patient soll I x klopfen, Untersucher klopft 2x – Patient soll nicht reagieren. Konträres Kommando: Untersucher klopft 2x – Patient soll I x klopfen, Untersucher klopft I x – Patient soll 2x klopfen. Anomale Sätze genau wiederholen: „O Tannenbaum, 0 Tannenbaum, wie grün sind deine Quaddeln.“ – „Der Mond ist ausgegangen, die grünen Sterne prangen.“ Sätze ergänzen: fehlendes letztes Wort stimmig und unstimmig ergänzen („Die meisten Katzen sehen gut bei ?“ -„Nacht“ oder z.B. „Regen“). Rückwärtsaufzählen: Zu Beginn soll der Patient die Monate aufsagen, zumindest bis April. ,jetzt beginnen Sie bitte mit Januar und sagen Sie die Monate rückwärts “ Alternativ: Wochentage.

Exekutive Dysfunktionen gehören zu den hervorstechendsten und funktionell bedeutsamsten kognitven Defiziten bei einer Schizophrenie. Auch hier gelten strukturelle und funktionale prefrontale corticale Defizite als wesentliche Ursache der Störung dieser wichtigen kognitiven Funktion. Möglicherweise sind prenatale Infektionen ein Risikofaktor für die Entwicklung solcher Exekutive Dysfunktionen bei an Schizophrenie erkrankten Menschen. Menschen schwereren Exekutiven Dysfunktionen haben auch bei Schizophrenien einen ungünstigeren Verlauf. Am J Psychiatry 2009; 166:683–6900

 

Quellen / Literatur:

Prof. Dr. Josef Zihl, Klinische Neuropsychologie – Teil V, Exekutive Funktionen, NeuroTransmitter 9·2003 S76 ff, Cognition: Executive Function Am J Psychiatry 2000 157: 3. [Full Text] Kai Vogeley, et al Disturbed Gyrification of the Prefrontal Region in Male Schizophrenic Patients: A Morphometric Postmortem Study Am J Psychiatry 2000 157: 34-39. [Abstract] [Full Text], Alessandro BertolinoSpecific Relationship Between Prefrontal NeuronalN-Acetylaspartate and Activation of the Working Memory Cortical Network in Schizophrenia, Am J Psychiatry 2000 157: 26-33. Abstract] [Full Text] ;M. Pauling, Kognitive Neurologie, Nervenheilkunde 839ff,10/2006, Stephen Rosenman Reconsidering the attention deficit paradigm Australasian Psychiatry Vol 14, No 2 June 2006, 127 ff

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur