Heautoskopie

Die Erstbeschreibung des psychopathologischen Phänomens der Heautoskopie (Synonym: Spiegelhalluzination) wird E. Menninger-Lerchenthal 1935 zugeschrieben, diese sahen darin einen Ausdruck einer Schädigung der rechten Hirnhemisphäre. Das Phänomen wird allerdings seit Jahrhunderten in der Literatur thematisiert. H. wird meist dem Doppelgängersyndrom gleichgesetzt und als Truggebilde der eigenen Gestalt beschrieben. Manchmal als eine Projektion des eigenen Körperselbst in die Außenwelt. Bei der Heautoskopie handelt es sich um eine Wahrnehmung des eigenen Leibes außerhalb der eigenen Person als eine zweite identische Person handelt, wobei zugleich die Bewegungen und Handlungen des halluzinatorischen Bildes am eigenen Körper empfunden werden. Dabei wird nicht immer die Gestalt gesehen, oft besteht auch nur das Empfinden, dass ein Doppelgänger hinter einem steht. Die halluzinatorische Gestalt muss nicht identisch zu sein mit der derzeitigen Gestalt des Halluzinierenden, muss aber als die eigene Gestalt erkannt werden. Menschen mit Heautoskopie empfinden sich während dessen oft als ob eine Leichtigkeit oder Abgehobenheit vorhanden wäre oder haben andere Veränderungen der Körperwahrnehmung während des Vorgangs. Die Doppelgänger scheinen oft eigene Bewegungen zu imitieren. Oft entsteht das Empfinden, als ob der Doppelgänger ein eigenes Bewusstsein habe. Der Doppelgänger ist oft eine Art Phantom des eigenen Körpers, ähnlich den Phantomgliedern von amputierten Menschen. Die zweite Person kann als Begleiter, Spiegelbild oder Teilerscheinung einer ganzen Szene erlebt werden. Jaspers beschreibt, dass diesem Phänomen eine sehr lebhafte Wahrnehmung, ein Wahn oder eine Halluzination zugrunde liegen kann. Üblicherweise wird man das Phänomen als Dissoziation einordnen. Heautoskopische Phänomene werden bei unterschiedlichen Ätiologien beschrieben: neben organischen Theorien, wobei vornehmlich bestimmte Hirnareale (tempoparietookzipital) erwähnt werden, bestehen hinsichtlich des Entstehungsmechanismus verschiedene psychologische Theorien; Projektion, Narzissmus, versuchte Abspaltung vom leidenden Ich sind häufig verwendete Konzepte. Heautoskopien sind beispielsweise bei neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Hirnmetastasen, nach Schlaganfällen oder bei Enzephalitiden beschrieben, aber auch bei psychischen Störungen wie pathologische Trauerreaktionen, Schizophrenie, Depression, Angststörungen oder dissoziativen Störungen, aber auch als Resultat einer krisenhaften übertriebenen Selbstbeschäftigung. Prosopagnosien – (gestörte Gesichtererkennung) (meist nur wenn beidseitig, selten bei einseitiger occipitotemporaler Läsion) könnten eine weitere Ursache des Phänomens sein.

Abgegrenzt werden muss die Heautoskopie von der autoskopischen Halluzination, bei diesem Phänomen sieht der Betroffene meist sehr kurzzeitig ein exaktes Spiegelbild von sich oder seinem Gesicht. Meist haben die Betroffenen auch noch andere visuelle Halluzinationen oder Illusionen, auch bei der autoskopischen Halluzination werden Schädigungen der temporo-occipito-parietalen Verbindungsbahnen als ursächlich angesehen, sie kommen fast ausschließlich bei neuropsychiatrischen Patienten vor. Bei der Heautoskopie muss es sich nicht unbedingt um ein exaktes Spiegelbild der äußeren Erscheinung der Person handeln, die Dauer ist von Sekunden bis zu vielen Stunden pro Erlebnis, im Ausnahmefall gar als Dauerphänomen.

Ähnliche Wahrnehmungen wie bei einer Heautoskopie lassen sich auch experimentell erzeugen. Wenn Teile des Körpers für das Gesichtsfeld des Betroffenen verborgen sind und ein ähnlich aussehender Ersatz beispielsweise aus Gummi im Gesichtsfeld liegt, kann durch simultane Sinnesreize wie Streicheln eine solche Illusion erzeugt werden. Durchgeführt wurde dies experimentell mit einem Gummihandschuh als Substitut für eine verdeckte Hand. Werden Gummihand und verdeckte Hand simultan gestreichelt, stellt sich bei den meisten Versuchspersonen schnell die Illusion ein, als sei die Gummihand Teil des Körpers. In funktionellen Kernspintomographien lässt sich dabei nachweisen, dass bei Bedrohung des illusionär verkannten Gummihandschuhs ähnliche Gefühle entstehen, wie bei Bedrohung der eigenen Hand durch eine Nadel oder einen Hammer. Die Versuchspersonen versuchten nach den Kernspinbildern sogar die imaginativ zu ihnen gehörige Hand wegzuziehen. Die Gummihand wird von den Versuchspersonen sozusagen inkorporiert. Mit komplexeren Videodarstellungen mit Videobrille konnte bei Versuchspersonen gar eine Illusion von einen neben Ihnen stehenden Körper erzeugt werden, der sich von außen beobachtet. Die Versuchpersonen lokalisierten sich selbst im virtuellen Körper außerhalb ihrer eigenen Körpergrenzen. Möglicherweise bieten solche Experimente eine Grundlage die Heautoskopie und andere subjektive Erfahrungen bei denen sich Menschen als außerhalb ihres Körpers empfinden zu verstehen und zu untersuchen.

 

Quellen / Literatur:

Siehe auch unter Capgras Syndrom Prosopagnosie – gestörte Gesichtererkennung Frégoli-Syndrom

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur