Kachexie

Kachexie tritt bei einer Reihe schwerer Erkrankungen wie Krebs, AIDS, oder schwerer Herzinsuffizienz auf. Es kommt zu einem Substanzverlust des Körpers, der sowohl das Fettgewebe wie auch die Muskulatur betrifft. Kachexie ist in der Regel nicht Folge einer Mangelernährung, die normalerweise bevorzugt das Fettgewebe betrifft, sondern es handelt sich um eine komplexe Störung in verschiedenen Organsystemen, es kommt dabei auch zu einer Anämie (Blutarmut), Insulinresistenz (bis hin zum Diabetes m.) zu einer Immunsuppression, und einer Aktivierung einer akute- Phaseantwort. Zytokine und Tumorfaktoren beeinflussen den Substanzverlust der Muskulatur durch Suppression (Unterdrückung der Funktion) von Muskelgenprodukten, man versteht allerdings bisher nicht genau, welche Muskelgenprodukte durch diese Kachexiefaktoren angegriffen werden. Wegen deren funktionaler Wichtigkeit für die Muskelarchitektur nimmt man an, dass es die myofibrillären Proteine sind. Neuere Forschungen scheinen dies zu bestätigen, bestimmte Tumorfaktoren vermindern gezielt ein für die Muskelkontraktion wichtiges Eiweiß das schwere Ketten Myosin. Im Ergebnis kommt es dann zu einer zunehmenden Schwächung, die die Patienten auch anfälliger für die Nebenwirkungen der Behandlung der Grunderkrankungen durch Chemotherapie, Antibiotika oder Bestrahlung macht. Viele Patienten sterben an den Folgen der Kachexie und nicht an ihrer Grunderkrankung. Kachexie spielt bei einem Drittel der Krebstodesfälle eine wesentliche Rolle. Zeichen: starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit, Apathie. Tritt auf bei Krebserkrankungen, chronischen Infektionskrankheiten, Stoffwechselstörungen (z.B, Erstsymptom eines jugendlichen Diabetes), kardiale Kachexie bei Patienten mit einem chronischen Cor pulmonale, als Alterserscheinung, als Vergiftungsfolge (u.a. bei Blei-, Quecksilbervergiftung), bei Unter- u. Mangelernährung. Die Mechanismen von Unter- u. Mangelernährung bei Demenzkranken weichen vermutlich von denen bei Krebserkrankungen und anderen schweren Körperlichen Erkrankungen ab. Insofern ist auch strittig ob man diese Unter- u. Mangelernährung der Kachexie zuordnen sollte. Die jährliche Mortalität im Pflegeheim beträgt bei einem Albuminspiegel über 40g/l 11,1%, bei Werten unter 35g/l 50%! Trotzdem gehört die Mangelernährung zu den am häufigsten übersehenen Diagnosen. Im Laufe des Lebens nimmt die Nahrungsaufnahme ab. Man hat dies auch die physiologische Anorexie des Alters genannt. Dies hat viele Gründe einschließlich Veränderungen im Sättigungsempfinden, verschiedene Neurotransmitter und erhöhte Leptinspiegel sowie bei Männern erniedrigte Testosteronspiegel spielen eine Rolle. Nach dem 70. Lebensjahr nimmt die Körpermasse ab. Dies betrifft sowohl das Fett als auch die Muskelmasse. Den Verlust der Muskelmasse im Alter bezeichnet man als Sarkopenie. Laut Ernährungsbericht, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, wurden ein Viertel von 300 über 75-jährigen Menschen bei der Aufnahme in ein Krankenhaus anhand des klinischen Eindrucks (beispielsweise abgemagertes Aussehen, fehlendes Unterhautfettgewebe) als mangelernährt beurteilt. Eine französische Untersuchung geht von einer Mangelernährung bei 5-10% der zu hause lebenden und 30-60% der in Institutionen lebenden Alten aus. Der Körper hat weniger Energie/ Eiweiß zur Verfügung, als er verbraucht; die Folge ist Untergewicht. Zu unterscheiden ist zwischen Marasmus und Kwashiorkor. Beim Marasmus ist der Ernährungsstatus grenzwertig kompensiert: Albuminspiegel sind mehr oder weniger normal, viszerale Proteine und Organfunktionen um den Preis einer reduzierten Muskel- und Fettmasse erhalten. Zusätzlicher Stress wie beispielsweise eine Infektion kann bei derartig verminderter Reserve schnell zu Kwashiorkor führen mit erniedrigtem Albuminspiegel, dem ausgeprägten Bild der Protein-Energie-Malnutrition mit ödematöser Komponente. Eine unklare Gewichtsabnahme im Alter kann ein Hinweis auf einen Diabetes oder eine Krebserkrankung sein. Oft ist sie aber auch ein Hinweis auf eine beginnende Demenz. Die Gewichtsabnahme bei Demenzkranken geht oft der Diagnose einer Demenz um Jahre voraus. Demenzkranke mit deutlicher Gewichtsabnahme haben einen deutlich schlechteren Verlauf ihrer Demenz als die Demenzkranken, die an Gewicht zunehmen oder ihr Gewicht halten. Arch Neurol. 2005;62:20-22. Patienten, die unter Schluckbeschwerden leiden, empfinden das Essen in der Gemeinschaft oft als beschämend und unangenehm. Da ihnen auf Grund der Beschwerden, die Nahrung während des Essens aus dem Mund laufen kann, meiden sie die Nahrungsaufnahme in der Gruppe. Eine weitere Gruppe von Patienten hat eine leichte bis mäßige Demenz mit mangelndem Antrieb zur Nahrungsaufnahme auch aufgrund einer verminderten Geschmacksempfindung. Mangelnder Antrieb zur Nahrungsaufnahme und eine Apraxie haben bei Demenzkranken häufig eine Gewichtsabnahme zur Folge. Diese ist im Alter Folge einer abnehmenden Anzahl von Geschmacksknospen auf der Zunge in Verbindung mit einer reduzierten Speicheldrüsenproduktion. Das Essen schmeckt wie Pappe und wird gemieden. Häufig ist die Nahrungsaufnahme zusätzlich durch die schlecht sitzende Zahnprothese behindert, evtl. auch mit Druckstellen. Außerdem fehlt häufig bei eingeschränktem Visus der optische Anreiz zum Essen. Bei funktioneller Einschränkung der Hände – z. B. bei langjähriger chronischer Polyarthritis und einer akuten Zusatzerkrankung z. B. Fraktur des rechten Armes – ist aus funktionellen Gründen die Nahrungsaufnahme behindert. Die Fähigkeit zur Kompensation der Fraktur ist erschöpft. Schluckstörungen (Dysphagie) führen bei vielen Menschen zu einer konstanten Unterversorgung mit allen Nährstoffen, sowohl Energie liefernden wie Proteinen, Kohlenhydraten und Fett, als auch Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen. Durch die ständige Angst vor dem Verschlucken nehmen Betroffene häufig zu wenig Nahrung auf. Der daraus resultierende Gewichtsverlust erhöht die Krankheitsanfälligkeit, die körperliche Schwäche und verringert Lebensqualität und Lebenserwartung, Betroffene sind auf eine Nahrung in einer entsprechenden Konsistenz und intensive Betreuung beim Essen angewiesen, um ein Verschlucken zu vermeiden und nicht in das Stadium einer gefährlichen Mangelernährung zu gelangen. Die in Fachkreisen als Dysphagie bezeichnete Störung des Schluckreflexes tritt besonders häufig nach einem Schlaganfall auf, der zur Lähmung der Schluckmuskulatur führen kann. Auch bei einer Schüttellähmung (Morbus Parkinson) oder durch mangelernährungsbedingte Abbauprozesse im Alter treten Beschwerden beim Schlucken auf. Häufige Gründe für den Gewichtsverlust bei älteren Menschen (nach einer Literaturübersicht, deshalb Bereichsangabe) : Krebserkrankungen (16%–36%), Psychiatrische Erkrankungen (besonders Depression) (9%–42%), Magen- Darmerkrankungen (6%–19%), Endokrine Erkrankungen (besonders Schilddrüsenüberfunktion) (4%–11%), Kardiovaskuläre Erkrankungen (2%–9%), Ernährungsbedingte Erkrankungen oder Alkoholismus (4%–8%), Lungenerkrankungen(~6%), Neurologische Erkrankungen (2%–7%), Chronische Infektionen (2%–5%), Nierenerkrankungen(~4%), Bindegewebserkrankungen (2%–4%), Medikamentennebenwirkungen (Appetitmangel, Mundtrockenheit, Dysgeusie oder Dysosmie, Dysphagie, Übelkeit, Erbrechen)(~2%), Unbekannt (10%–36%).Eine starke Gewichtsabnahme ist auch im Alter mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko verbunden. Körperlicher Schwäche und Müdigkeit, erhöhte Infektanfälligkeit, erhöhtes Dekubitusrisiko, Wundheilungsstörungen, vermehrte Sturzgefahr, damit auch Gebrechlichkeit, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit können die Folge sein. Die Meinungen zur Sondenernährung im hohen Alter bei Gebrechlichkeit gehen erheblich auseinander. BGH, Beschluß vom 8. Juni 2005 – XII ZR 177/03 zur künstlichen Ernährung gegen den Willen des Betreuers: Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, daß die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht (im Anschluß an BGHZ 154, 205). b) Hat sich der Rechtsstreit durch den Tod des Patienten erledigt, rechtfertigt der Umstand, daß die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn („Hilfe zum Sterben“) bislang nicht hinreichend geklärt erscheinen, eine gegenseitige Kostenaufhebung nach § 91 a ZPO. „ Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer sog. Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen, nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell – also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist. b) Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird – sei es dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist. Die Entscheidungszuständigkeit des Vormundschaftsgerichts ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts.“ Die Entscheidung betrifft zwar den Fall eines „gesetzlichen Betreuers“, der vom Vormundschaftsgericht für einen einwilligungsunfähigen Patienten bestellt worden war. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie für die Handlungen von Bevollmächtigten – und zukünftig von vertretungsberechtigten Angehörigen – entsprechend anwendbar ist. Um die PEG Sonden oder allgemein die Sondenernährung bei Menschen mit schwerer Demenzerkrankung gibt es häufig Diskussionen zwischen Pflegeheim, Angehörigen und Ärzten. Die Datenlage ist dabei nach einem Artikel des BMJ so, dass es keine wirklich aussagekräftigen Studien zu diesem Thema gibt. Die häufigste Expertenmeinung ist, dass Sondenernährung bei schwer dementen Patienten weder deren Leben verlängert noch deren Lebensqualität verbessert. Im Gegenteil ist die Sondenernährung lebensverkürzend, schwer Demenzkranke verhungern nicht, sie haben im Endstadium eine verminderte Stoffwechselaktivität und brauchen auch weniger Nährstoffe, dies ist die Folge einer verminderten Muskelmasse und der Hirnschrumpfung, sie sind körperlich inaktiv. Auch bei Dementen gilt, dass der Köper bei verminderter Nahrungsaufnahme die Nahrung besser verwertet, und das Eiweiß besser im Körper hält. Allerdings lässt sich durch Sondenernährung manchmal der Albumingehalt im Blut und das Körpergewicht steigern, ob dies allerdings immer im Sinne der Kranken ist, ist umstritten. Nicht jeder demente Patient oder Pflegeheimbewohner hungert, dies ist entgegen der Vermutungen ihrer nicht selten übergewichtigen Betreuer eher selten. Auch bei geringer Nahrungsaufnahme nehmen sie nur selten an Gewicht ab. Patienten, die eindeutig essen wollen, aber aus organischen Gründen (z.B.massive Schluckstörung) nicht essen können, sind eindeutige Kandidaten für eine Sondenernährung. Für einen Einsatz der Sondenernährung bei dementen Patienten, die nicht essen wollen, gibt es nach der (selbstverständlich nicht unwidersprochenen) Meinung vieler Experten keine medizinischen oder ethischen Gründe.

 

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

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