Höhenangst und Höhenschwindel

Höhenangst und Höhenschwindel ist nicht das gleiche. Die Unterscheidung von beidem ist für die Behandlung entscheidend.

Höhenangst und Höhenschwindel
Bild modifiziert aus Brandt Th, Vertigo. Its Multisensory Syndromes. Springer 1.Aufl. 1994
  1. Höhenschwindel ist ein Normalphänomen. Wenn man sich in größerer Höhe befindet, tritt eine subjektive Instabilität der Körperhaltung auf, dazu gehört auch ein Angst hinunter zu fallen, Schweißausbrüche und andere vegetative Symptome wie unter Angststörungen besprochen werden.
  2. Höhenschwindel nimmt bei Gewöhnung oder Training ab. Allerdings nicht unbegrenzt und abhängig von der biologischen Disposition. Nicht jeder kann Dachdecker werden.
  3. Höhenschwindel hat eine nachvollziehbare biologische Grundlage. Es handelt sich um einen Entfernungsschwindel. Dieser entsteht durch eine Destabilisierung der Körperhaltung wenn die Entfernung zwischen den Augen und dem nächsten sichtbaren festen Objekt zu groß wird. Um das Objekt scharf mit beiden Augen sehen zu können, muss der Kopf schwanken. Dies tut er dann auch automatisch. Auch für die normale Aufrechterhaltung des Gleichgewichts schwanken wir etwas. Dies muss bei fehlenden festen Objekten in der nahen Umgebung gesteigert werden. Über Lagereflexe schwankt der Körper dann auch etwas mit. Die Stabilisierung der Lage erfolgt über die Peripherie der Netzhaut des Auges. Also nicht über die zentrale Netzhaut, mit der Gegenstände erkannt oder verfolgt werden.
  4. Zusätzlich gibt es ein angeborenes „Klippen-Phänomen“. Ohne negative Erfahrungen meiden Kleinkinder wie viele Tiere große Tiefen. Dies auch ohne, dass sie zuvor schlechte Erfahrungen damit gemacht haben.
  5. Höhenschwindel stellt auch eine normale Warnfunktion des Körpers dar. Durch das physiologische Schwanken besteht tatsächlich eine etwas erhöhte Sturzgefahr.  Überwiegend kann diese durch kompensatorische Mechanismen (des Gleichgewichtsorgans, und der propriozeptorischen Nerven) ausgeglichen werden. Wenn schlechtes Schuhwerk getragen wird, eine Schädigung peripherer Nerven durch eine Polyneuropathie vorliegt, oder andere Schädigungen des Gleichgewichtsinnes bekannt sind, sollte man deshalb in solche Situationen vorsichtig sein und die Warnung des Körpers auch ernst nehmen.
  6. Normaler Höhenschwindel muss von eigentlicher Höhenangst unterschieden werden. Höhenangst entsteht aus normalem Höhenschwindel.  Die Angst vor einem Kontrollverlust spielt dabei eine wesentliche Rolle. Kurze Gedanken wie „ich könnte fallen“ aber auch “ ich könnte die Kontrolle über mich verlieren und hinunterspringen“ sind noch ein Normalphänomen, solange sie nach einem kurzen Schritt zurück, korrigiert werden können. Erst wenn sie einen übertriebenen Stellenwert bekommen und wirkliche Angst vor einem Kontrollverlust mit dazugehöriger Angst vor der Angst dazu kommen sollte man von Höhenangst sprechen.

Umgang mit Höhenschwindel

Tipps zum Umgang mit dem normalen Höhenschwindel:

  1. Vermeiden Sie in großer Höhe in gefährlichen Situationen frei zu stehen ohne sich festzuhalten.
  2. Wenn Sie hinunter sehen, achten Sie darauf, dass sich nahe feststehende kontrastreiche Gegenstände in Ihrem seitlichen Blickfeld befinden. Die Stabilisierung der Lage erfolgt über die Peripherie der Netzhaut des Auges. Also nicht über die zentrale Netzhaut, mit der Gegenstände erkannt oder verfolgt werden.
  3. Der Höhenschwindel entsteht erst nach Sekunden, ein kurzer Blick beeinträchtigt deshalb weniger.
  4. Das Beobachten sich bewegender Objekte wie Wolken erhöht den Schwindel. Durch eine Fernglas sehen verschlimmert den Schwindel und die Gefahren erheblich.
  5. Achten Sie darauf, dass Ihre Füße möglichst horizontal auf dem Boden stehen. Vermeiden Sie extreme Kopfpositionen um den Sinnesorganen die Arbeit nicht zu erschweren

Höhenangst (auch Bathophobie oder Acrophobie)

Angstauslöser von Höhenangst sind Situationen wie der Aufenthalt, auf einer Leiter, auf einer Brücke, auf einem Turm, einem Hochhaus, einem Balkon oder an einem steilen Abhang.  Manche Menschen verspüren Höhenangst nur dann, wenn Sie sich im Freien aufhalten, z.B. auf einer Aussichtsplattform. Stehen Sie dagegen hinter einer Glasscheibe im Inneren eines Hochhauses, kommt es zu keiner Angstreaktion. Die Angst vor und in Höhen war eine der Phobien, bei denen sich Verhaltenstherapie in kontrollierten Therapiestudien erfolgreich gezeigt hat. Methode der Wahl ist das angeleitete Erfolgslernen (guided mastery), das auch als teilnehmendes Modellernen bezeichnet wird. Dabei wird der Patient dazu angehalten, die allerschwierigsten Situationen so schnell wie möglich anzugehen. Wenn er dabei Schwierigkeiten hat, gibt ihm der Therapeut dabei Hilfen. Man kann es mit entsprechender Vorinformation unter Beachtung einiger Regeln auch einfach selbst versuchen.

Umgang mit Höhenangst

Tipps zum Umgang mit Höhenangst:

  1. Wenn schon das Besteigen eines Stuhles Probleme bereitet und Sie Schwierigkeiten haben eine Brücke zu überqueren, handelt es sich nicht mehr um einen normalen Höhenschwindel, dabei tritt die Angst ebenfalls sich beim Blick in die Tiefe auf, man weiß dabei aber, dass die Angst unbegründet ist, dennoch befürchtet man die Kontrolle über sich zu verlieren und abzustürzen.
  2. Wenn Höhenangst einen übertriebenen Stellenwert bekommt und wirkliche Angst vor einem Kontrollverlust mit dazugehöriger Angst vor der Angst dazu kommen, sollte man Höhenangst auch behandeln. Dies gilt auch wenn durch die Höhenangst Ihre Bewegungsfreiheit im Alltag eingeschränkt ist.
  3. Die Suche nach Problemen und Konflikten als Auslöser beseitigt Höhenangst nicht. 
  4. Sie können zunächst selbst einen Versuch unternehmen, durch Training der Angst entgegen zu wirken.
  5. Wenn Ihre Angst besonders schlimm ist, nehmen Sie dazu bei den ersten Versuchen eine Person Ihres Vertrauens mit. Sie sollten später aber auch alleine üben.
  6. Beachten Sie bei den Übungen die Hinweise zum Höhenschwindel. Seien Sie sich bewusst, dass dieser normale Höhenschwindel bleiben wird und unterscheiden Sie zwischen beiden Phänomenen.
  7. Wenn Sie üben über eine Brücke zu gehen, beachten Sie besonders am Anfang den Hinweis darauf zu achten, dass sich nahe feststehende kontrastreiche Gegenstände in Ihrem seitlichen Blickfeld befinden.  Beispielsweise das Brückengeländer, ein Pfeiler, der Boden.
  8. Wenn möglich bleiben Sie von Anfang an so lange auf der Brücke bis die Angst auf der Brücke nachlässt. Das strengt an, führt aber am schnellsten zum Erfolg.
  9. Bringen Sie sich in großer Höhe nicht in tatsächliche Gefahr. Unterscheiden Sie zwischen übertriebener und realer Angst. Angst an sich ist nicht gefährlich, bei einem gesunden Menschen hinterlässt sie nur eine kurze Erschöpfung wie nach körperlicher Arbeit.
  10. Je häufiger sie hintereinander üben (möglichst täglich), umso schneller, sicherer und mit umso geringerem Aufwand haben Sie Erfolg.
  11. Wenn Ihre Angst beim Üben zwischen den Übungen größer wird machen Sie etwas falsch, sie sollten sich dann für die Übungen therapeutische Hilfe suchen. Sie sollten sich dafür einen Verhaltenstherapeuten suchen, der Konfrontationstraining macht, und möglichst auch bereit ist mit Ihnen an Ort und Stelle zu üben. 
  12. Wie bei jeder Störung gilt, dass körperliche Erkrankungen wie eine  Polyneuropathie, andere organische Schwindelursachen usw. bekannt sein sollten bzw. untersucht sein sollten.  Das Vorliegen solcher Krankheiten muss manchmal bei der Behandlung berücksichtigt werden, es ändert die Behandlung aber nicht grundsätzlich. 
  13. Aus der Darstellung des normalen Höhenschwindels haben Sie gelernt, dass es immer Übergänge zwischen sinnvollen gesunden Reaktionen und gesunder Angst zu beeinträchtigender Angst oder zu Phobien gibt.  Diese Sichtweise hilft bei der Akzeptanz des Problems die wichtige Grundlage der Behandlung ist.

Höhenangst Therapie

Wenn Höhenangst alleine nicht überwunden werden kann und die betroffene Person einschränkt, kann eine Therapie helfen. Der Therapeut kann dabei unterschiedlich vorgehen:

Der schnellste Weg ist die allerschwierigsten Situationen sofort anzugehen. Ausreichender Erfolg tritt hier meist bereits nach 2 Doppelstunden ein. Wichtig ist von Anfang an so lange in der Situation zu bleiben, bis die Angst auch in der Situation nachlässt.  Man kann die Konfrontation aber auch langsam steigern: z.B.: üben noch weit entfernt vom Brücken- Geländer hinuntersehen und sich dann langsam dem Geländer  nähern. Wir erinnern uns, dass je mehr wir in der Peripherie sehen umso weniger ist der normale Höhenschwindel vorhanden. Wichtig ist dabei, dass nachvollziehbare Erfolgskriterien für jede Sitzung vereinbart werden. Die Dauer von 50 min pro Sitzung ist meist zu kurz, 90- 100 min sind sinnvoller. Bei schwierigen Fällen müssen zunächst Zwischenziele definiert werden. Die Zeit der  Konfrontationsdauer muss manchmal langsam gesteigert werden.  Manchmal ist am Beginn erforderlich, den Patienten am Arm zu führen. Der Therapeut muss die Übung manchmal vormachen. Dies nennt man Modellernen. Sinnvoll ist an verschiedenen Höhensituationen zu üben. Der Erfolg stellt sich meist nach wenigen Sitzungen ein und ist in der Regel anhaltend. Bedingung ist immer, dass der Patient in der ersten Zeit nach erfolgreicher Behandlung weiter regelmäßig die vormals gefürchtete Situation aufsucht.  Man kann also aus einem Patienten mit Höhenangst nicht unbedingt einen Dachdecker machen, problemloses über Brücken gehen und auf Wegen an Abhängen zu gehen kann man aber lernen.

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur