Medikamenteninduzierter Kopfschmerz

Regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln kann selbst Kopfschmerzen auslösen. Man spricht dann von medikamenteninduziertem Kopfschmerz (oder auch: Analgetikainduzierter Kopfschmerz oder Schmerzmittelinduzierter Kopfschmerz).

Merkregel:

Zur Vermeidung eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes, sollten Kopfschmerzpatienten höchstens an 10 Tagen/Monat und an höchstens 3 Tagen hintereinander Kopfschmerz- und/oder Migränemittel einnehmen.

Wann können Schmerztabletten Kopfschmerzen verursachen?

Alle Schmerztabletten, die man zur Behandlung von Kopfschmerzen verwendet, sind geeignet, wenn sie zu häufig verwendet werden einen chronischen medikamenteninduzierten Kopfschmerz auszulösen. Bei neuen Medikamenten dauert es in der Regel etwa ein Jahr nach der Zulassung bis bekannt wird, dass auch sie medikamenteninduzierte Kopfschmerzen auslösen können.

Interessanterweise belegen Studien, dass diese medikamenteninduzierten Kopfschmerzen weit überwiegend bei Menschen auftreten, die zuvor schon an einer Kopfschmerzerkrankung wie Migräne oder Spannungskopfschmerzen gelitten haben. Patienten, die wegen einer anderen (z.B. rheumatischen) Erkrankung regelmäßig Schmerzmittel nehmen, bekommen, wenn sie nicht zuvor schon Kopfschmerzen hatten, deutlich seltener medikamenteninduzierte Kopfschmerzen. (Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, DKMG).

Bei wechselnder Einnahme unterschiedlicher Wirkstoffe vermindert sich das Risiko nicht. Dieser Aspekt sollte auch bei der Behandlung von Schmerzen in anderen Körperregionen bei Kopfschmerzpatienten berücksichtigt werden. Oft ist die quasi prophylaktische Einnahme von Schmerzmitteln aus der Angst bei Auftreten von befürchteten Kopfschmerzen nicht fit für den Alltag oder Beruf zu sein, auslösend und aufrechterhaltend für die regelmäßige Einnahme der Schmerzmittel. Perfektionistische und ängstliche Menschen sind daher besonders gefährdet. Die Angst ohne die Schmerzmittel nicht zu funktionieren oder die Schmerzen nicht aushalten zu können ist das wichtigste Hemmnis vor dem notwendigen Entzug.

Kopfschmerztabletten sind die meist verkauften Arzneimittel überhaupt: Paracetamol, Thomapyrin, Voltaren und Aspirin belegen regelmäßig die vordersten Plätze bei den meist verkauften Medikamenten. Entsprechend häufig sind auch durch Kopfschmerztabletten verursachte Kopfschmerzen. Das Ausmaß dieses Problems wird meist unterschätzt.

Vorbeugung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen

Die beste Behandlung des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes ist die Vorbeugung. Bei der Empfehlung oder Verordnung von Schmerzmitteln oder deren Verkauf sollte auf das Risiko des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes bei Übergebrauch hingewiesen werden. Noch immer ist diese häufige Komplikation der regelmäßigen Schmerzmitteleinnahme nur unzureichend bekannt.

Kopfschmerztabletten sind rezeptfrei und in manchen Ländern auch außerhalb von Apotheken frei verkäuflich. KDie Wahl des Schmerzmittels und die Schwelle bis zur Einnahme bei Schmerzen unterliegen einer gewissen Familientradition, Eltern sind für ihre Kinder auch hier Vorbilder. 

Behandelnde Ärzte wissen oft nichts über den Schmerzmittelkonsum, die Beratung über die Risiken ist in vielen Apotheken die Ausnahme, je bekannter das Medikament ist, umso weniger wird der Beipackzettel gelesen. Kopfschmerztabletten sind oft gut wirksam und sinnvoll, leider aber nicht ohne Nebenwirkungen. Eine relativ große Anzahl von Kopfschmerzpatienten entwickelt unter zu häufiger Einnahme von Schmerz- und/oder Migränemitteln einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz.

Zur Vermeidung bzw. Vorbeugung eines medikamentös chronifizierten oder induzierten Kopfschmerzes sollten Kopfschmerzpatienten höchstens an 10 Tagen/Monat und an höchstens 3 Tagen hintereinander Kopfschmerz- und/oder Migränemittel einnehmen.

Charakteristika medikamenteninduzierter Kopfschmerzen

Typische Merkmale und damit auch Kriterien für die Diagnose eines durch Schmerzmittel ausgelösten Kopfschmerzes sind:

  • Der Kopfschmerz ist an mindestens 15 Tagen/Monat vorhanden
  • Einnahme von Analgetika an ≥15 Tagen/Monat regelmäßig über ≥3 Monate
  • Der Kopfschmerz hat sich während des Schmerzmittelmissbrauchs entwickelt oder verschlechtert.
  • Entwicklung der Kopfschmerzen oder deutliche Verschlechterung während des Analgetikaübergebrauchs
  • Der Kopfschmerz verschwindet oder kehrt innerhalb von 2 Monaten nach Beendigung der Analgetikaeinnahme wieder zu seinem früheren Auftretensmuster zurück
  • Es handelt sich dmeist um einen dumpf-drückenden, nicht pulsierenden beidseitigen Dauerkopfschmerz von leichter oder mittlerer Intensität.

Häufigkeit und Risikogruppen

Der Schmerzmittelmissbrauch beginnt teilweise bereits bei Jugendlichen, nicht ganz selten schon mit 11 oder 12 Jahren. Eine norwegische Studie fand bei 0,8% der Mädchen und 0,2% der Jungen einen täglichen Kopfschmerz durch Medikamentenmissbrauch. Am häufigsten war eine Migräne der Auslöser für den Beginn der täglichen Medikamenteneinnahme (Dyb et al. 2006).

Genaue Erhebungen über die generelle Häufigkeit des medikamentös induzierten Dauerkopfschmerzes liegen nicht vor, zumal die Dunkelziffer relativ hoch sein dürfte. Schätzungen ergeben Zahlen von 0,3 bis 1,0 % der Bevölkerung, während von den spezialisierten Kopfschmerzzentren teils deutlich höhere Zahlen angegeben werden. Die DKMG geht in Deutschland von zwischen 800.000 und 1,6 Millionen Menschen aus, die unter einem Arzneimittel-Kopfschmerz leiden.

Der Bundes-Gesundheitssurvey ergab, dass 5,5% der Männer und 10,2% der Frauen in Deutschland mindestens 1-2x wöchentlich ein Schmerzmittel einnehmen. Dieser Personenkreis zählt damit schon zur Risikogruppe für die Entwicklung von schmerzmittelinduzierten Kopfschmerzen. Bei immerhin 1,6% der Männer und 2,2% der Frauen besteht eine tägliche Schmerzmitteleinnahme.

Die meisten Menschen, die einen Schmerzmittelmissbrauch treiben, waren wegen ihrer Kopfschmerzen nie beim Neurologen und sind nicht adäquat beraten worden. Sie haben meist nie eine vorbeugende Behandlung für das Grundleiden erhalten.

Welche Schmerzmittel lösen Kopfschmerzen aus?

Grundsätzlich können alle Schmerzmittel bei regelmäßiger Einnahme Kopfschmerzen auslösen.

In einer Studie mit Patienten mit chronischen durch Schmerzmittel ausgelösten Kopfschmerzen wurden Paracetamol (47,9%), Ergotamin (45,5%), Acetylsalicylsäure (40%), Koffein (38%), Dihydroergotamin (24%), nicht steroidale Antirheumatika (23%), Codein (10%), Opioide (5%), Sumatriptan (5%) und Benzodiazepine (4%) genommen. 56,4% der Patienten nahmen Kombinationsanalgetika. Diese Zahlen spiegeln aber nicht das Risiko der entsprechenden Arzneimittel, sondern eher das Verschreibungs- oder Einnahmeverhalten (Evers et al 1999).

Entzugskopfschmerzen sind nach einzelnen Studien aber besonders ausgeprägt bei Entzug von Opioiden und Kombinationsanalgetika. Codein, Opiate, Ergotamin und Dihydroergotamin können neben dem medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz eine Abhängigkeit mit entsprechenden Entzugsymptomen auslösen. 

Therapie (Entzug) und Prognose

Die Therapie der Wahl ist der Medikamentenentzug.  Die typischen Entzugserscheinungen nach der Beendigung der symptomatischen Medikation dauern im Schnitt nur 3,5 Tage, selten länger als eine Woche und umfassen den Entzugskopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Blutdruckregulationsstörungen, Herzklopfen, Schlafstörungen, Unruhe, Angst und Nervosität.

Schon nach dieser Zeit, spätestens aber nach 3 Wochen, sind die Schmerzen meist besser als zum Zeitpunkt der regelmäßigen Einnahme von Kopfschmerztabletten. Nur in den ersten 3-7 Tagen ist mit einer Verschlimmerung der Kopfschmerzen zu rechnen. In manchen Fällen kann für diesen Zeitraum eine Krankschreibung sinnvoll sein.

Ausreichende Flüssigkeitszufuhr mildert die Entzugssymptome. Bei Triptanabhängigkeit kann die Zeit bis zur Besserung der Kopfschmerzen 2-3 Wochen dauern, bei Gebrauch von Opioiden kann es 2-4 Wochen dauern.

Vor einer Beurteilung, ob der Kopfschmerz tatsächlich auf den Medikamentenübergebrauch zurückging, sollte man eine Zeit von 4-6 Wochen unter Führung eines Schmerztagebuches abwarten.

Die Erfolgsquote nach 6 Monaten liegt bei etwa 40-90%. Auch im Langzeitverlauf sind, soweit überprüft, die Erfolge einer Entzugsbehandlung auch nach 5 Jahren noch stabil. Die meisten Rückfälle erfolgen im ersten Jahr. Wenn dieses überstanden ist, ist die Prognose sehr gut.

Unter ärztlicher Aufsicht kann in manchen Fällen eine medikamentöse Unterstützung des Entzuges sinnvoll sein. Neben trizyklischen Antidepressiva kann auch Kortison (z. B. Prednison 100 mg über 5 Tage) den Medikamentenentzug erleichtern. Auch Metoclopramid oder Domperidon gegen die Übelkeit erleichtern den Entzug.

Eine psychiatrische oder verhaltenstherapeutische Begleitung des Entzugs verbessert die Erfolgsaussichten.

Ein ambulanter Entzug kann genauso erfolgreich sein wie ein stationärer Entzug. Wenn gleichzeitig Benzodiazepine und Opioide gebraucht werden, eine Komorbidität mit anderen chronischen Schmerzen besteht oder eine schwerere psychische Störung vorliegt, sollte der Entzug stationär erfolgen.

Gleichzeitig mit oder vor Beginn der Entzugsbehandlung soll die Prophylaxe des zugrunde liegenden primären Kopfschmerzes (z.B. Migräne bzw. Kopfschmerz vom Spannungstyp) eingeleitet werden. Zur Vermeidung von Rückfällen nach der Entzugsbehandlung ist eine regelmäßig neurologische und/oder psychologische Nachbetreuung sinnvoll.

Nach dem Entzug können wieder bei Bedarf Kopfschmerztabletten eingenommen werden, dies sollte allerdings durch ein Kopfschmerztagebuch kontrolliert werden.

Prognostischer Faktoren für den Therapieerfolg

Günstige Voraussetzungen für einen Therapieerfolg sind:

  • Migräne als primärer Kopfschmerz
  • Dauer des täglichen Kopfschmerzes weniger als 5 Jahre
  • Isolierte Einnahme von Ergotamin, Dihydroergotamin oder Sumatriptan.

Ungünstige prognostische Faktoren sind:

  • Mangelnde Einsichtsfähigkeit
  • Kombination von Analgetika mit Benzodiazepinen
  • Dauer der täglichen Kopfschmerzen mehr als 5 Jahre
  • Chronischer Spannungskopfschmerz als primärer Kopfschmerz
  • Sekundärer Krankheitsgewinn
  • Mehrfache erfolglose Selbstentzüge,
  • Mangelnde Unterstützung durch die Familie
  • Nicht abgeschlossene Renten- oder Versicherungsverfahren bei posttraumatischen Kopfschmerzen.

Siehe auch