Seite 10 Ms durch Verletzungen ? Seit Anfang des Jahrhunderts gibt es publizierte Beobachtungen, daß Verletzungen verschiedener Art dem Erstauftreten einer MS vorangehen können. Im wesentlichen kommen hier Hirn- und Rückenmarksverletzungen in Betracht, die zu einer Störung der Blut-Hirn-Schrankenfunktion führen. Dadurch können autoreaktive T-Zellen als Initiatoren einer Autoimmunreaktion leichter in das Gehirn einwandern, und es ist prinzipiell die Möglichkeit der Entstehung einer demyelinisierenden Plaque gegeben. Da sich die veröffentlichten Befunde z.T. widersprechen, wird in dem jetzt vorliegenden Artikel von einer Expertengruppe der American Academy of Neurology versucht, die anhand der publizierten Studien vorhandene Evidenz kritisch zu bewerten. In einer Metaanalyse werden insgesamt 5 Studien zum Zusammenhang von physischem Trauma und MS sowie 7 Studien zum Zusammenhang von psychischem Streß und MS kritisch analysiert. Gemäß Definition der 3 Evidenzgrade für klinische Studien werden die Auswertungskriterien für diese Metaanalyse definiert. Neben der Berechnung einer Odds ratio wird der Effekt anhand des Chi-Quadrat-Tests dargestellt, und es wird kritisch zu den zeitlichen Zusammenhängen zwischen Trauma und MS Stellung bezogen. Ergebnisse: Zunächst wird die statistische Qualität der publizierten Studien analysiert. Hierbei stellt sich heraus, daß nur für einen Teil der publizierten Studien ausreichend standardisierte Bedingungen vorliegen, die eine statistische Auswertung nach den vorgegebenen Kriterien ermöglichen. Darüber hinaus wird bemängelt, daß ein Großteil dieser Studien retrospektiv und nur einige wenige im Rahmen einer Fallkontrollstudie erstellt worden sind. Ein direkter Vergleich bzw. eine Verallgemeinerung der in diesen Studien dargestellten Daten wird insofern erschwert, als unterschiedliche Zeiträume zwischen dem Auftreten von Verletzungen bzw. psychischem Streß und dem Ausbruch einer MS oder Auftreten eines neuen Schubes gegeben sind. Die Abstände variieren von 3 Wochen bis zu maximal 1 Jahr. Des weiteren ist gerade ein Zusammenhang zwischen psychischem Streß und Krankheitsaktivität der MS nur sehr schwer möglich, da das Studiendesign mit retrospektiven Interviews zur Lebenssituation die Gefahr einer Überbewertung von Ereignissen erhöht. Schlußfolgerung: Nach Sichtung der oben beschriebenen Arbeiten zu dem auch sozialmedizinisch relevanten Aspekt eines möglichen Zusammenhangs zwischen physischem Trauma/psychologischem Streß und MS kommen die Autoren zu dem Schluß, daß es anhand der vorhandenen Klasse-II-Evidenz keinen nachhaltig bestätigten Hinweis für eine Assoziation von physischem Trauma und dem Beginn einer MS-Erkrankung sowie deren Schubaktivität gibt. Bezüglich des psychischen Stresses als präzipitierendes Ereignis wird ebenfalls Kritik an den mangelhaften Studiendesigns geübt und anhand der vorhandenen Klasse-II-Evidenzen derzeit kein medizinisch relevanter Zusammenhang zum Auftreten der MS oder neuer Schübe gesehen. Goodin DS, Ebers GC, Johnson KP, Rodriguez M, Sibley WA, Wolinsky JS. The relationship of MS to physical trauma and psychological stress. Neurology 1999;52: 173745. Eine Metaanalyse aus 2004 sieht zwar einen Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen und Schüben der Multiplen Sklerose, schließt aber mit der Feststellung: „In summary, while these findings show a significant association between stress and exacerbation in multiple sclerosis, the effect size is modest. This association is not consistent across patients or even within individual patients across time. The potential differential effects of various types of stress or the mechanisms by which stress affects inflammation are not known. Thus, the occurrence of any specific exacerbation cannot yet be linked to any specific stressor.” Die Schlussfolgerung der Autoren ist damit, dass die Assoziation von Krankheitsaktivität und auslösendem Stressor nicht so eindeutig ist, dass Schübe der Erkrankung mit einem speziellen Stressor in Verbindung gebracht werden können. David C Mohr, et al., Association between stressful life events and exacerbation in multiple sclerosis: a meta-analysis; BMJ 2004;328:731 Abrufbar unter http://bmj.bmjjournals.com/cgi/content/abridged/328/7442/731 MS durch Hormone und Schwangerschaft In Fachinformationen von Östrogen-Gestagen-Kombinationen sowie in der Roten
Liste 1998 wird auf „sorgfältige Überwachung“ bei Multipler Sklerose (MS)
hingewiesen. Die wissenschaftliche Basis für diese einschränkende Formulierung
ist mager. Abgesehen von Kasuistiken finden wir hierzu lediglich eine
retrospektive1 und eine prospektive2 epidemiologische Zur Problematik der beruflichen Rehabilitation Prof. Dr. Dietmar Seidel, Augustahospital Anholt,46419 Isselburg Medizinische Verrentungsgründe Für diese Widersprüche gibt es zum Beispiel folgende
Erklärungen: MS- Patientinnen kommen seltener zu gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen. MS- Patientinnen, die in ihrer Gehfähigkeit beeinträchtigt sind, nehmen nach
einer neuen amerikanischen Untersuchung 3-5x seltener an gynäkologischen
Vorsorgeuntersuchungen teil. Dies obwohl deren Lebenserwartung und damit auch
die Erkrankungswahrscheinlichkeit an gynäkologischen Krebserkrankungen
allenfalls gering vermindert ist. Vorsorgeuntersuchungen tragen wesentlich zur
Verminderung der Sterblichkeit an bestimmten Krebserkrankungen bei. Die
Untersuchung des Blutdrucks oder der Blutfette war bei diesen Frauen genauso
häufig durchgeführt worden, wie bei einer gesunden Vergleichsgruppe. Die
Untersucher folgern sicherlich zurecht, dass der erhöhte Zeitaufwand und
Transportaufwand für die Untersuchungen wesentlicher Grund für diese
Unterschiede sein muss. Ähnliche Defizite werden auch in der Versorgung anderer
chronisch Kranker vermutet. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass eine
ähnlich schlechtere gesundheitliche Versorgung in erheblichem Ausmaß für
Patienten mit Diabetes m., Emphysem, oder schweren psychiatrischen Erkrankungen
zu beobachten ist. Ärzte sollten bei ihren Entscheidungen hinterfragen in wie
weit "Unbequemlichkeiten" bei der Behandlung chronisch Kranker
notwendigen Untersuchungen im Wege stehen. Chronisch Kranke sollten auch selbst
eine adäquate Versorgung einfordern. Cheng E, Myers L, Wolf S, Shatin D, Cui XP, Ellison G, et al. Mobility impairments and use of preventive services in women with multiple sclerosis: observational study. BMJ 2001; 27. Oktober, 323: 968-969
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