Psychische Störungen

im DSM IV (Diagnostisches Statistisches Manual IV), wurde der Krankheitsbegriff (psychiatrische Krankheit) durch den Begriff der psychischen Störung ersetzt. Man ging dabei davon aus, dass solange man die genaue Ursache und Pathogenese nicht kennt, es besser ist beschreibend von Störungen zu reden. Es heißt im DSM IVt: „Psychische Störungen sind konzeptualisiert als ein klinisch bedeutsames behaviorales oder psychisches Syndrom oder Muster, das bei einem Individuum erscheint und das verbunden ist mit gegenwärtigen Belastungen, z.B. einem schmerzvollen Symptom mit Beeinträchtigungen, z.B. Behinderung in einem oder mehreren Funktionsbereichen oder mit einem bedeutsam erhöhtem Risiko zu sterben, Schmerzen oder Behinderungen zu erleiden oder einem wesentlichem Verlust von Freiheit“. (Saß, Wittchen & Zaudig 1996, 944). Gemeint ist ein überzufällig häufig auftretendes und charakteristisches Muster zusammenhängender und einschneidender Auffälligkeiten des offenen Verhaltens, der Kognitionen, Emotionen und neurobiologischen Funktionen von klinischer Relevanz. Die 12-Monatsprävalenz psychischer Störungen in der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren beträgt 36%.(=15,6 Millionen 12-Monatsprävalenz der erwachsenen deutschen Bevölkerung im Alter von 18–65) – Lebenszeitrisiko: 48% Frauen (36,7%) häufiger als Männer (24,7%). Eine Ausnahme bilden Suchterkrankungen die bei Männern häufiger sind. Jeder dritte Betroffene (36%) steht oder stand im Jahr vor der Erhebung wegen der psychischen Störung in Kontakt mit ambulanten oder stationären psychiatrisch/ psychotherapeutischen Diensten oder seinem Hausarzt. Nach einer DAK Umfrage 2/2005 war jeder siebte Berufstätige schon einmal wegen eines psychischen Problems in professioneller Behandlung. 70% könnten sich ohne weiteres vorstellen, deshalb einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen. 82 Prozent sind der Meinung, dass psychische Krankheiten heute besser akzeptiert werden. Die DAK verzeichnet insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen ist einen überproportionaler Anstieg der psychischen Erkrankungen zu verzeichnen. Die Altersgruppen der 15- bis 34-Jährigen sind besonders stark betroffen. Zwischen 1997 und 2004 wiesen die jüngeren Altersgruppen zum Teil sogar eine Verdoppelung der Erkrankungsfälle an psychischen Störungen laut DAK auf. So hatten beispielsweise die Männer im Alter von 25 bis 29 Jahren einen Anstieg um 106%. Bei den Frauen zwischen 20 und 24 Jahren gab es sogar eine Zunahme um 123 %. Der Anteil von Betroffenen, die eine im weitesten Sinne adäquate Therapie nach modernen wissenschaftlichen Kriterien erhalten, kann konservativ auf ca.10% geschätzt werden. Die niedrige Versorgungsquote betrifft dabei nicht alle spezifischen Störungsgruppen in gleichem Ausmaß; niedrige Versorgungsraten ergaben sich insbesondere für somatoforme und Suchterkrankungen. Am weitesten verbreitet sind Angst-, affektive und somatoforme Störungen. Die regionale Verteilung ist unterschiedlich – in den neuen Bundesländern ist die Prävalenz depressiver und somatoformer Störungen überraschenderweise eher niedriger als in den alten. Die Behandlungsprävalenz ist insgesamt niedrig, der Anteil psychologischer Dienste im Vergleich zu psychiatrischem Diensten jedoch bemerkenswert hoch. Mit den Ergebnissen aus dem Zusatzsurvey ´Psychische Störungen´ stehen für Deutschland erstmals reliable und international vergleichbare Bezugsdaten zur psychiatrischen Morbidität zur Verfügung. Wie bei den meisten körperlichen Erkrankungen (Hypertonus, Diabetes m., Stoffwechselstörungen), so gibt es auch bei den meisten psychischen Störungen keine eindeutigen „natürlichen“ Grenzen und cut-offs, die 100%ig gesund und krank trennen. Die Ursachen psychischer Störungen werden in der modernen Wissenschaft als vielfältig und interagierend angesehen. Neben der Biologie des Menschlichen Organismus spielt auch die psychische Entwicklung des Einzelnen im Kontext von Familie, Umwelt, Kultur und Erfahrung eine Rolle. Seelische Vorgänge – einschließlich Stimmung, Lernen und Verhalten sind von einem funktionsfähigen Organismus abhängig, die gegenseitige Beeinflussung von Körper und Seele ist keine Einbahnstraße. Alle psychischen Funktionen und das Verhalten haben eine biologische Dimension/Grundlage. Subtile Unterschiede in der Hirnchemie können anfällig für psychische Störungen (z.B. Mangel oder Überschuss von Neurotransmittern) machen. Umgekehrt können psychische Prozesse und das Verhalten den Körper beeinflussen (Neurotransmitter, Immunstatus). Ob es sich bei den statistischen Zunahmen psychischer Störungen um eine echte Zunahme der Inzidenz handelt, ist strittig. Bei den Arbeitsunfähigkeitsdiagnose, dürfte ein Umdenken in der Diagnostik eine wesentliche Rolle spielen. Sowohl Betroffene als auch Behandler sehen eher den Hintergrund psychischer Konflikte für körperliche Beschwerden, die körperlichen Diagnosen sind differenzierter geworden, die lange Krankschreibung beispielsweise wegen unspezifischer Rückenschmerzen gilt zunehmend als obsolet, was auch dazu führt, dass oft dahinter liegende psychosomatische und soziale Probleme eher gesehen werden. Zitat: „Statistics show a great increase during the last few decades in the number of patients suffering from mental diseases. This increase is not only relative and due to the increase of population, but it is absolute in the sense that the number of insane people to the population is proportionately greater than before. There is little doubt that the reason for this greater frequency of mental affections is that the strenuous life in our large cities almost inevitably leads to a loss of mental equilibrium in those who are of inadequate mental caliber…. It is these less vital individuals whose minds especially prove incapable of standing the strain put on them by our modern life and who live to be the increasing population of our insane asylums…“. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1906- ist also 100 Jahre alt. JAMA. 1906;46:1700-1701 Reprint in JAMA, June 7, 2006—Vol 295, No. 21 2547. Kulturelle Faktoren wie Materialismus und Individualismus werden als Auslöser von Gesundheitsproblemen in westlichen Gesellschaften aber eher unterschätzt, es gibt deutliche Hinweise, dass kulturelle Faktoren via psychosozialer Wege das psychologische Wohlbefinden beeinflussen, dieses Wohlbefinden und Verhaltensänderungen, die daraus resultieren, beeinflussen über physiologische Wege die körperliche Gesundheit. Ein wichtiger Kostenfaktor in unserem westlichen Lebenswandel resultiert aus dem „kulturellen Betrug“ der Darstellung von Bildern und Idealen des „guten Lebens“ die der Wirtschaft nützen aber nicht mit den psychosozialen Gegebenheiten übereinstimmen und die psychologischen Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen.

 

Quellen / Literatur:

DAK Umfrage 2/2005 Richard Eckersley, International Journal of Epidemiology 2006 35(2):252-258; doi:10.1093/ije/dyi235 Gesundheit in Deutschland pdf (6008 KB) Gesundheit in Deutschland (Zusammenfassung) pdf (1417 KB)

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur