Thoracic outlet Syndrom

Unter dem Begriff Thoracic outlet Syndrom (nachfolgend TOS) werden heute sämtliche neurovaskulären Kompressionssyndrome an der oberen Thoraxapertur subsumiert. Hierunter fallen das Costoclavikularsyndrom, das Scalenussyndrom, das Hyperabduktionssyndrom, das Pectoralis minor Syndrom, das Schulter-Arm-Sydrom, das Paget-von Schrötter-Syndrom und das Thoracic inlet Syndrom (TIS), wenn die venöse Kompression im Vordergrund steht. Das TOS ist charakterisiert durch die Kompression von Plexus brachialis, A. und V. subclavia, durch knöcherne, muskuläre und fibröse Strukturen an der oberen Thoraxapertur. Es handelt sich also um ein Engpassproblematik im Bereich der Skalenuslücken, der kostoklavikulären Passage und/oder des Korakoids. Dabei können in unterschiedlicher Ausprägung neurologische, arterielle oder venöse Symptome im Vordergrund stehen oder kombiniert auftreten. Auslösende können Lastendruck auf der Schulter, Lastenzug am Arm, repetitive Abduktions- und Adduktionsbewegungen im Schultergelenk, Überkopfarbeiten mit nach hinten gestrecktem Arm, Spielen von Streichinstrumenten sein. Das Beschwerdebild ist bunt und vielfältig, da die Kompression überwiegend den Plexus, die Arterie oder die Vene betreffen kann. Alle Kombinationen mit unterschiedlichem Schwerpunkt sind möglich. Nach Roos zeigen 97 % der Patienten neurologische Symptome. Typisch sind Schmerzen im Bereich der Dorsalseite der Schulter, in der Axilla mit Ausstrahlung an der Innenseite des Armes über die Ulnarseite des Ellenbogens bis hin zu den Fingern 4 und 5. Die Beschwerden können ausgelöst und verstärkt werden durch Abduktion des Armes und durch Zug am Arm. Häufig sind nächtliche Kribbelparästhesien mit Einschlafen des gesamten Armes. Eine gleichzeitige Irritation der sympathischen Nervenversorgung geht mit vermehrter Schweißabsonderung und Kältegefühl in der Hand einher. Die Schmerzen treten verstärkt nach Belastung, in Ruhe und nachts auf. Im weiteren Verlauf kommt es zu Schwäche und Schweregefühl im betroffenen Arm, Verlust der Geschicklichkeit und der Koordination der Fingerbewegungen. Erst relativ spät zeigt sich eine Atrophie der kleinen Handmuskeln. Steht die arterielle Kompression im Vordergrund, dann können rasche Ermüdbarkeit, claudicatioartige Schmerzen bei Überkopfarbeiten, Blässe und Kälte der Hand zu Leitsymptomen werden. Thrombotische Auflagerungen in der A. subclavia oder in einer poststenotischen Erweiterung der Arterie können zur Embolisation in die peripheren Arterien führen. 72 % der Patienten mit einem TOS weisen Digitalarterienverschlüsse auf. Bei überwiegender venöser Kompression klagen die Kranken über Schwere- und Spannungsgefühl. Häufig sind Hand und Arm morgens angeschwollen und blau verfärbt. Bei Überkopfarbeiten treten die Venen an Hand, Arm und Schulter prall hervor. Komplikationen im Spontanverlauf können wiederum den Plexus, die Arterie und die Vene betreffen. Der knöcherne Druck auf die unteren Plexusanteile bewirkt zunächst Schmerz, Parästhesien, Muskelschwäche und Störung der Feinmotorik. Fortgesetzter Druck oder ein interkurrentes Trauma können jedoch strukturelle Schädigungen des Plexus herbeiführen. Mikroblutungen in die Nervenhüllen führen zu bindegewebiger Narbenbildung mit Schrumpfungstendenz und können dadurch eine definitive Schädigung der Neurofibrillen verursachen. Die hierdurch hervorgerufenen permanenten neurologischen Symptome sind nicht mehr reversibel. Eine verzögerte Nervenleitgeschwindigkeit kann nicht differentialdiagnostisch zwischen einer funktionellen und einer definitiven Störung unterscheiden. Die Alterierung der arteriellen Gefäßwand mit Quetschung der gesamten Arterie begünstigt die Entwicklung muraler Thromben. Solche Thromben können mit dem Blutstrom als Mikroembolien in die Hand- und Fingerarterien geschleudert werden. Nicht selten werden derartige Embolieschauer als Raynaudanfälle gedeutet. Die ständige Einengung oder Abknickung der Arterie am oberen Rippenrand bewirkt Strömungsturbulenz und die Entwicklung eines poststenotischen Subclaviaaneurysmas. In diesem entstehen Thromben, die als Makroembolien Verschlüsse der großen Armschlagadern verursachen können. Die vollständige Thrombosierung eines A. subclavia Aneurysmas bedingt schlagartig ein komplettes Ischämiesyndrom der oberen Extremität. Aneurysmarupturen sind außerordentliche Raritäten. Die chronische Kompression der V. subclavia ruft eine weißlich derbe Fibrosierung der Venenwand mit konsekutiver Schrumpfung hervor. Als Komplikation kann es zu einer akuten Thrombosierung der V. subclavia kommen. Die Phlegmasia coerulea dolens der oberen Extremität ist eine ausgesprochene Seltenheit, dagegen nehmen tödliche Lungenembolien in 1 % – 2 % ihrem Ausgang von einer akuten V. subclavia Thrombose. Nicht jedes TOS bedarf primär der chirurgischen Behandlung. Die Indikation zu einem operativen Eingriff muss sorgfältig und kritisch geprüft werden. Das ist gerade beim TOS schwierig, da es überwiegend anhand der Beschwerden und klinischen Befunde diagnostiziert werden muss und deshalb höchste Anforderungen an die Seriosität des Untersuchers stellt. Die Entscheidung wird erleichtert, wenn sich die Beschwerden regelmäßig provozieren lassen und wenn sensible Störungen bestehen, auch wenn motorische Ausfälle fehlen. Operationsindikationen sind gegeben bei:

  1. morphologischen Veränderungen an der A. subclavia (thrombotische Auflagerungen, Aneurysma)
  2. klinisch manifester Embolisation
  3. filiformer Kompression der V. subclavia
  4. klinisch relevantem postthrombotischen Syndrom mit nachgewiesener Kompression der Kollateralbahnen
  5. verzögerter Ulnaris- und/oder Medianusleitgeschwindigkeit
  6. erfolgloser konservativer Therapie.

Eine Operationsindikation ist weiterhin gegeben bei schwersten nächtlichen Schmerzzuständen hohem Analgetikaverbrauch bei normaler Leitgeschwindigkeit, bei schmerz-bedingter Arbeitsunfähigkeit, bei bereits eingetretenem Medikamentenabusus und Veränderung der Persönlichkeitsstruktur. Dale berichtete in einer Arbeit über 102 komplette postoperative Paresen, von denen sich 22 nicht wieder zurückbildeten. Von zusätzlichen 171 mit partiellem motorischem Defizit erholten sich 30 nicht vollständig.(Dale WAD (1982) Thoracic outlet compression syndrome. Critique in 1982. Arch Surg 117: 1437–1442)

Die andere Meinung hierzu: Der amerikanische Chirurg Roos aus Denver bezeichnete 1966 ( Roos DB (1966) Transaxillary approach for first rib resection to relieve thoracic outlet syndrome. Ann Surg 163: 354–358) die 1. Rippe als den gemeinsamen Nenner aller Thoracic-outlet-Syndrome, ein Begriff, den Peet et al. 1956 geprägt hatten, um verschiedenen Kompressionssyndromen im Bereich der oberen Thoraxapertur einen einheitlichen Namen zu geben. Dieser Begriff ersetzte andere Bezeichnungen, unter denen das Skalenussyndrom die in Deutschland bekannteste ist. Für die Therapie empfahl Roos folgerichtig die Entfernung der 1. Rippe, eine Operation, die schon Murphy 1905 vorgeschlagen hatte. Roos empfahl, sie transaxillär, von der Achselhöhle aus, zu entfernen, denn dies sei schnell und einfach. Er wurde nicht müde, diese Operation immer und immer wieder zu propagieren. Schon 1982 berichtete er über 1336 eigene Operationen, eine erstaunlich große Zahl bei einem eher seltenen Krankheitsbild, wenn man die Diagnose streng stellt. Gilliatt nimmt die Häufigkeit eines klassischen Thoracic-outlet-Syndroms (TOS) mit 1 : 1 000 000 an. Schon 1971 hatte sich McBurney (McBurney RP (1971) Thoracic outlet syndromes: Current management. Ann Surg 173: 704–705) gewundert, warum in Denver, Roos Wirkungsstätte, so viele dieser Patienten vorkommen („I agree that I cannot understand why so many of these patients are in Denver . . .“) Diese Propaganda hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Die transaxilläre Entfernung der 1. Rippe wird heute von zahlreichen Chirurgen in aller Welt durchgeführt. Sie gilt als wirksam und risikoarm. Ist sie das wirklich? Das Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) hat mit wenigen Ausnahmen keine knöcherne Ursache, sondern ist eine Weichteilerkrankung. In der Regel verursachen Bänder oder akzessorische Muskeln zwischen unterer Halswirbelsäule und 1. Rippe und Pleurakuppe die Kompression der Wurzeln C8 und Th1 bzw. des Truncus inferior des Plexus brachialis. Die Diagnose ist meist eine klinische. Ist eine Operation indiziert, dann sollte sich der Eingriff auf die fibromuskulären Besonderheiten nahe der Wirbelsäule konzentrieren und nicht auf die Entfernung der 1. Rippe. Komplikationen nach einer transaxillären Entfernung der 1. Rippe sind nicht selten. Zwar sind auch iatrogene Verletzungen der A. und V. subclavia mitgeteilt worden, am häufigsten sind aber iatrogene Läsionen des Plexus brachialis mit teilweise gravierenden und bleibenden neurologischen Ausfällen. Auch bei vielen Gesunden findet man eine solche Kompression.· Das Thoracic-outlet-Syndrom ist üblicherweise durch eine Beteiligung der Wurzeln C8 und Th1 oder des Truncus inferior des Plexus brachialis gekennzeichnet, also durch nervale und nicht durch vaskuläre Symptome. Der Ort der angiographischen Engstelle muss nichts mit dem Ort der Kompression zu tun haben. Es gibt deshalb keinen Grund, die Entfernung der 1. Rippe als einen Standardeingriff zur Behandlung des TOS zu empfehlen

 

Quellen / Literatur:

siehe auch unter Adson-Test auch Adson’s- Manöver Prof. Dr. H.-P. Richter, Neurochirurgische Klinik, Universität Ulm, Nervenarzt (1996) 67: 1034–1037Michael Donaghy, Zelko Matkovic, and Peter Morris, Surgery for suspected neurogenic thoracic outlet syndromes: a follow up study J Neurol Neurosurg Psychiatry 1999; 67: 602-606. [Abstract] [Full text]

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur