Tourette-Syndrom

Eine Form der Ticstörung bei der gegenwärtig oder in der Vergangenheit multiple motorische Tics und ein oder mehrere vokale Tics vorgekommen sind, die aber nicht notwendigerweise gleichzeitig auftreten müssen. Die Störung verschlechtert sich meist während der Adoleszenz und neigt dazu, bis in das Erwachsenenalter anzuhalten. Die vokalen Tics sind häufig multipel mit explosiven repetitiven Vokalisationen, Räuspern und Grunzen und Gebrauch von obszönen Wörtern oder Phrasen. Manchmal besteht eine begleitende gestische Echopraxie, die ebenfalls obszöner Natur sein kann (Kopropraxie) Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. Nebenbefundlich leiden Betroffene 4x häufiger als die Durchschnittsbevölkerung unter Migräne. Etwa 1% der Schulkinder sind in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Zwangsstörungen, Verhaltensstörungen und Störungen der Impulskontrolle sowie ADHS kommen bei den Betroffenen gehäuft vor und führen zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung. Für die Diagnose müssen andere Ursachen für Tics wie Enzephalitiden, Stoffwechselstörungen (z.B. M. Wilson), Sporadische Tics, Chorea Huntington, Dystonien, Neuroakanthozytose, Hallervorden–Spatz Krankheit, Tuberöse Sklerose, Medikamentennebenwirkungen, die auch Spätdyskinesien beinhalten (Amphetamine, Methylphenidat, Pemolin, L-dopa, Kokain, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Lamotrigine, Antipsychotika, MCP etc.) als Ursache ausgeschlossen werden. Auch die Unterscheidung zu Erkrankungen aus dem Autismus-Spektrum (Asperger- Syndrom) kann manchmal schwer zu unterscheiden sein.

Bei Zwillingsstudien besteht eine Konkordanz von um die 90%, so dass eine genetische Ursache sicher ist. Niedriges Geburtsgewicht, Stress und Erkrankungen der Mutter in der Schwangerschaft erhöhen das Risiko dass die Krankheit ausbricht. Es ist inzwischen eindeutig, dass bei der Entstehung des Gilles de la Tourette Syndrome (TS) und anderer Ticstörungen anatomische und funktionelle Störungen der Basalganglien eine wesentliche Rolle spielen. Ursprünglich resultierte dies als Vermutung aus der Beobachtung anderer Bewegungsstörungen wie Chorea Huntington und M. Parkinson. Ein weiterer Hinweis war, dass Neuroleptika die in der Behandlung dieser Störungen wirksam sind, über eine Blockade der Dopaminrezeptoren in den Basalganglien wirken. In Tierversuchen erzeugen Läsionen in den Basalganglien Tourette oder Tic- ähnliche Störungen. Mittlerweile konnten funktionelle Kernspintomographien diese Befunde bei lebenden Patienten untermauern. Eine Untersuchung an 154 Patienten mit TS zeigte eine deutliche Volumenminderung des Nukleus caudatus, sowohl bei betroffenen Kindern, wie bei Erwachsenen. Bei Patienten bei denen zusätzlich eine Zwangsstörung bestand, war zusätzlich das Volumen des N. lentikularis vermindert. Bei einem Teil der Betroffenen scheint möglicherweise ein Infekt mit Gruppe A Streptokokken im Sinne einer Autoimmunerkrankung der Basalganglien eine Rolle zu spielen, ähnlich wie bei der Chorea minor und manchen Formen der Zwangsstörung. Díe Ergebnisse diesbezüglicher Untersuchungen sind aber nicht einheitlich. Die Basalganglien sind allerdings nicht die einzigen Hirnregionen, die bei Tics oder dem Tourette- Syndrom eine Rolle spielen. Funktionelle Kernspintomographien zeigen eine Aktivierung von paralimbischen Hirnregionen vor Ausbruch des Tics, und bevor motorische Hirnregionen beteiligt sind. Die Tics scheinen daher eher in einem Netzwerk unter Beteiligung des vorderen Cingulums, der Inselrinde und der supplementärmotorischen Rinde sowie dem parietalen Operculum zu entstehen, bevor es zu den gestörten motorischen Abläufen in der motorischen Rinde und den Basalganglien kommt. (Bilder vom Hirn, vergrößern durch Klicken)

Behandlung: Der erste Schritt in der Behandlung besteht in der Aufklärung der Eltern, Lehrer und der betroffenen Kinder. Verhaltenstherapeutische Techniken können lindern. Medikamente werden eingesetzt, wenn die Tics zu einer schweren Beeinträchtigung der Betroffenen führen. Therapieziel ist meist nicht, dass die Tics verschwinden, sondern dass der Betroffene besser damit umgehen kann und sie besser steuern kann um weniger soziale Nachteile zu haben. Eingesetzt werden verschiedene Antipsychotika, manchmal SSRI. Nicht ausreichend untersucht sind Clonazepam, Pergolid, Cannabinoide und Nikotinkaugummi bzw. Nikotinpflaster. Die der Behandlung der begleitenden psychischen Störungen erfolgt pharmakologisch wie psychotherpeutisch wie sonst auch entsprechend der Störung. In seltenen sehr schweren Fällen kann eine Tiefenstimulation des Hirns indiziert sein. Im Einzelfall große Erfolge werden durch die Stimulation des centromedianen-parafaszikulären Komplex des The thalamus, und des internen Globus pallidus berichtet. Es handelt sich bisher allerdings um keine großen Studien, das Risiko von langfristigen Nebenwirkungen ist ebenfalls noch nicht abschließend beurteilbar.

 

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

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