Ostrazismus

Sozialpsychologischer Begriff nach dem altgriechischen Scherbengericht (die Namen wurden bei der Abstimmung auf Tonscherben geschrieben) benannt. Es handelte sich dabei um ein Volksgericht bei welchem Männer, die ein die Freiheit des Staats gefährdendes Ansehen erlangt hatten, oder durch ihre Opposition die ruhige Entwicklung des Gemeinwesens störten, für 5 oder 10 Jahre verbannt wurden. Für die Entscheidung waren 6000 Stimmen erforderlich. Nach diesem Vorgang versteht man unter Ostrazismus heute noch das Ignorieren und Ausschließen von Individuen oder Gruppen durch Individuen oder Gruppen. Das Zugehörigkeitsgefühl ist eine der fundamentalsten Bedingungen für die menschliche Selbstsicherheit, seelische Gesundheit und auch den Erfolg bei der Fortpflanzung. „Menschen sind extrem sensibel, wenn sie mit Missachtung gestraft, wie Luft behandelt, verbannt oder ausgegrenzt werden.“ Ähnlich dem Begriff der Devianz wird auch hier davon ausgegangen, dass der Gruppenzusammenhalt durch die ostrazierung von ehemaligen Gruppenmitgliedern zu Lasten von letzteren gefördert wird. Der Ausschluss anstrengender Mitglieder mach eine Gruppe effektiver, stärker und fördert den inneren Zusammenhalt. In einer Analyse von 15 Schulamokläufen seit 1995 kam eine Studie zum Ergebnis, dass Ostrazismus, Mobbing oder andere Arten der empfundenen Zurückweisung bei 87% ein wesentlicher auslösender oder ursächlicher Faktor war. Ostrazismus kann nach der Theorie dazu führen, dass sich das ausgeschlossene Individuum besser an die Gemeinschaft anpasst, der Wunsch gemocht zu werden und wieder dazuzugehören kann also einen Anpassungsprozess an die Gruppe fördern. Ostrazismus und andere Formen des sozialen Ausschlusses vergrößern aber auch das Risiko von Gewalttaten gegen andere. Ostrazismus kann ein solch starkes Verlangen nach Zugehörigkeit auslösen, dass die moralische Unterscheidung zwischen gut und böse hintan gestellt wird, was so weit gehen kann, dass sich die Betroffenen von radikalen Gruppen oder Sekten angezogen fühlen. Andere werden durch Ostrazismus abgestumpft und gefühllos zurückgezogen. Welchen Copingmechanismus das einzelne Individuum oder auch eine Gruppe wählt ist meist nicht vorhersehbar und ein zunehmend interessanterer Forschungsgegenstand. „Obwohl er also aus ökonomischer Sicht keine Bestrafung darstellt, ist Ostrazismus aus psychologischer Betrachtung heraus eines der wirkungsvollsten Sanktionsinstrumente überhaupt“- allerdings wie alles wirkungsvolle mit erhelbichen Risiken behaftet.

 

Quellen / Literatur:

Kipling D.Williams, Ostracism, Annu. Rev. Psychol. 2007.58:425-452. Abstract | Full Text | PDF (180 KB) Martin Beckenkamp, Institutionelle Ergonomie Verhaltensrelevante Variablen zur Beeinflussung kooperativen Verhaltens in sozialen Dilemmata. Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods Bonn 2004/9 (PDF)

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur