Gefälligkeitsgutachten

Lässt sich dadurch definieren, dass: a) die Verpflichtung des Sachverständigen zur Unabhängigkeit nicht korrekt wahrgenommen wurde und b) eben diese gutachterliche Neutralität aufgegeben wurde, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Auch kann alleine die fachfremde Beurteilung problematisch sein. In der Regel entsteht hierdurch auch ein Schaden für den Auftraggeber. Insbesondere Privatgutachten müssen in der Regel ja vom Betroffenen bezahlt werden, offensichtliche Gefälligkeitsgutachten sind dann meist für die Versicherung, das Gericht oder unabhängige Gutachter leicht erkennbar.

Auftraggeber sind die Fragesteller und Adressaten eines Gutachtens, ein Gutachten darf aber nicht so erstellt werden, dass der Inhalt des Gutachtens entgegen den Feststellungen den Erwartungen des Auftraggebers entspricht. All dies gilt unabhängig davon ob zu Gunsten eines Antragstellers, Kranken oder Klienten oder etwa auch zu Gunsten eines Verwaltungsorgans oder einer Versicherung fahrlässig oder bewusst die Neutralität aufgegeben wurde. Gutachten müssen Aussage über einen tatsächlichen Zustand beinhalten, mit hinreichender Prüfung des Für und Wider ohne Ausrichtung an den Wünschen von Auftraggebern, Auffassungen müssen nach bestem Wissen und Gewissen der ärztlichen Überzeugung vertreten werden. Gutachten dürfen auch nicht zur Patientenwerbung für die eigene Praxis verwendet werden. Gutachten sollten bei möglicher Befangenheit nicht erstellt werden. Dies gilt bei verwandtschaftlichen Beziehungen, beruflichen Verbindungen, Freundschaften, Feindschaften, wirtschaftlicher und/oder wissenschaftlicher Konkurrenz, Erklärungen gegenüber Dritten über den vermutlichen Verfahrensausgang, Sympathie-/Antipathie- Äußerungen hinsichtlich einer Partei, oder wenn der Gutachter ist zur Zeit selbst in einen ähnlichen Streit verstrickt ist. Ortsferne des Gutachters ist in der Regel für dessen Unabhängigkeit günstig. (Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, S. 113 ff). Der Sachverständige muss bei der Gutachtenerstattung persönlich und beruflich unabhängig sein. Er muss seine Gutachten in eigener Verantwortung erstatten können und darf nicht der Gefahr einseitiger Beeinflussung oder fachlicher Weisung bei der Erstattung seiner Gutachten beziehungsweise der Erbringung seiner Sachverständigenleistungen ausgesetzt sein.

Neben dem finanziellen Schaden leidet die Glaubwürdigkeit des Gutachters wie des Patienten bei Gefälligkeitsgutachten und es können Haftungsansprüche entstehen. § 839a BGB Haftung des gerichtlichen Sachverständigen: (1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. (3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Nach Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz (Az. 9 U 719/01), können von Versicherungsunternehmen beauftragte Gutachter nicht nur diesen gegenüber, sondern auch gegenüber den Versicherungsnehmern und Geschädigten schadensersatzpflichtig sein.

Probleme können sich auch durch Verletzung der Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (Stand 2004) ergeben: § 25 Ärztliche Gutachten und Zeugnisse: Bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse haben Ärztinnen und Ärzte mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Gutachten und Zeugnisse, zu deren Ausstellung Ärztinnen und Ärzte verpflichtet sind oder die auszustellen sie übernommen haben, sind innerhalb einer angemessenen Frist abzugeben.

Probleme kann es darüber hinaus mit dem Strafrecht geben. § 278 StGB Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse: Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 279 StGB: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse: Wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnis der in den §§ 277 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Die genannten Regelungen gelten auch für ärztliche Atteste und beispielsweise Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. Krankschreibungen. Atteste und Bescheinigungen bedürfen in aller Regel einer persönlichen Untersuchung. Werden diese auf telefonische Bestellung ausgefertigt, liegt bereits der Verdacht auf ein Gefälligkeitsattest nahe. Problematisch sind auch rückdatierte Krankschreibungen, spätestens nach 2 Tagen kommt ihnen kein Beweiswert mehr zu. (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.05.2008, Aktenzeichen: 3 Sa 195/07), siehe auch Landesarbeitsgericht Rostock in einem Urteil vom 30. Mai 2008 (AZ: 3 Sa 195/07) In letzterem Urteil zur Bestätigung der Kündigung einer Lehrerin heißt es: Eine nachträgliche Krankschreibung ist ausnahmsweise nur bis maximal 2 Tage zulässig. Nach Vernehmung des Arztes habe das Gericht von einem „Gefälligkeitsattest“ ausgehen können. Sich ein Gefälligkeitsattest ausstellen zu lassen, stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die eine vorherige Abmahnung (vor Kündigung) entbehrlich mache.

Gefälligkeitsatteste oder Gefälligkeitsgutachten können zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen gegen den Arzt führen. Auch der Patient riskiert beispielsweise bei einer nicht stichhaltigen und womöglich rückdatierte Krankschreibung nicht nur wie der Arzt eine Anklage wegen Betruges sondern auch eine Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens.

Gefälligkeitsatteste oder Gefälligkeitsgutachten halten sehr oft einer genaueren Prüfung nicht stand. Häufig sind schon attestierte Erkrankungen und die gewählte Behandlung nicht mit einander in Einklang zu bringen. Beispielsweise, wenn in einem Attest eine schwere Depression mit Suizidalität attestiert wird und der Patient sich nach einem Quartal wieder vorstellen soll, keine Medikamente verordnet werden, keine nach dem Attest notwendige stationäre Behandlung eingeleitet wird etc.. Erstaunlich ist oft, dass bereits bei einem erstmaligen Behandlungskontakt eine weitreichend und sehr langfristig ungünstige Prognose gestellt wird.

Ärztliche Gutachten oder Atteste werden in der Regel zur Erlangung eines Nachteilsausgleichs, eines sonst nicht zustehenden finanziellen Ausgleichs, einer Ausnahme in einem Vertrag oder des Kündigung etc. erstellt. Jedenfalls habe fast alle ärztlichen Gutachten oder Atteste Auswirkungen auf Benachteiligte. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führt zu Leistungen der Krankenkassen oder Lohnfortzahlungen der Arbeitgeber etc.. Es gibt damit immer auch eine Partei, der durch das Ärztliche Gutachten oder Attest ein Nachteil entsteht, oder entstehen kann. Besonders in gerichtlichen Verfahren gilt, dass falls die Beurteilung des Gutachters für eine Partei ungünstig ausfällt, dies oft dazu führt, dass an der Objektivität
des Sachverständigen gezweifelt wird, was dann zu einem Befangenheitsantrag führen kann. (MedR (2009) 27: 413−415 DOI: 10.1007/s00350-009-2443-5) In gerichtlichen Verfahren reicht es für einen begründeten Befangenheitsantrag schon aus, dass Tatsachen vorliegen, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Unparteilichkeit seitens einer Partei begründen können.

 

Quellen / Literatur:

  1. Gerd Sandvoß, Gefälligkeitsgutachten: Identifizierung und Abwehr, ArztRecht 11/2004, 392-396, JUNG, H.: Zur Strafbarkeit des Arztes wegen des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (§ 278 StGB).
  2. Rieser, Sabine Terroranschläge: Gefälligkeitsatteste wegen Flugangst? Dtsch Arztebl 2002; 99(17): A-1174 / B-976 / C-830
  3. Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts. Enke, Stuttgart 1989, S. 76 – 85.
  4. Cave: Gefälligkeitsatteste Hessisches Ärzteblatt 11/2005 763
  5. Uwe Lenhart, Folgen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse Hessisches Ärzteblatt 12/2004 716-717
  6. Gefälligkeitsgutachten Markus Schär Die Weltwoche, Zürich
  7. Fenger, Hermann; Gesenhues, Stefan Ärztliche Gesundheitszeugnisse: Vorsicht ist geboten Dtsch Arztebl 2009; 106(30): A 1506–8
  8. Flintrop, Jens Jagd auf „Blaumacher“: Ärzte an den Pranger gestellt Dtsch Arztebl 2003; 100(15): A-959 / B-807 / C-753
Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur