Gutachten – Hinweise zur Situation

Bitte Beachten Sie folgende Besonderheiten der Situation bei einer Begutachtung Ihres Gesundheitszustandes, die sich von der üblichen Arzt- Patientenbeziehung unterscheiden:

  1. Die Situation begutachtet zu werden, ist für alle Menschen unangenehm. Dies weiß auch der Gutachter.
  2. Im gegenseitigen Interesse ist es sinnvoll, wenn Ihrerseits, wie auch seitens des Gutachters, eine vertrauensvolle Atmosphäre hergestellt werden kann.
  3. Versuchen Sie den Ihnen zugesandten oder in der Praxis erhaltene Fragebogen sorgfältig auszufüllen, Sie können damit Ihre Zeit in der Praxis abkürzen und dafür Sorge tragen, dass Sie keine wesentlichen Krankheiten oder Beschwerden vergessen.
  4. Bitte beachten Sie, dass in der Regel die Schilderung Ihrer Beschwerden mit Ihren eigenen Worten wichtiger ist, als die Mitteilung von Diagnosen.
  5. Der Auftrag des Gutachters besteht ausschließlich in einer Beurteilung Ihres Gesundheitszustandes und dessen Auswirkungen auf Ihr Leistungsvermögen. Beratungen, Behandlungen oder Stellungnahmen Ihnen gegenüber zum Ergebnis des Gutachtens sind seitens der Auftraggeber ausdrücklich nicht gewünscht. Einzige Ausnahme hier, ist die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die bisher nicht bekannt ist.
  6. Der gutachtende Arzt ist weder Interessenvertreter des Probanden noch des Auftraggebers. Er ist vielmehr „Gehilfe“ (BGHSt 3,28) bzw. fachkundiger Berater des Gerichtes oder sonstiger Dritter. Seine Aufgabe besteht darin, medizinische Befunde zu erheben und diese unter Berücksichtigung der sonstigen ihm zugänglich gemachten Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlichen Erfahrungswissens zu bewerten, um so dem hierfür allein zuständigen Auftraggeber (Gericht, Staatsanwaltschaft, Sozialversicherungsträger, Verwaltungsbehörde oder private Versicherungsgesellschaft) eine Entscheidung der rechtlich erheblichen Fragen zu ermöglichen.
  7. Die Verwertung des Gutachtens steht allein dem Auftraggeber zu, der an die Beurteilung des Sachverständigen aber nicht gebunden ist. Auch Mitteilungen über das Ergebnis des Gutachtens an Ihren Hausarzt sind seitens der Auftraggeber ausdrücklich nicht gewünscht. Einzige Ausnahme hier, ist die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die bisher nicht bekannt ist. Ergeben sich aus den diagnostischen Erhebungen für den Untersuchten potentielle Behandlungs- oder Prophylaxekonsequenzen, werden diese dem Probanden mitgeteilt und/oder die Befunde mit dessen Einverständnis dem behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden.
  8. Sie haben in der Regel die Möglichkeit das Gutachten von Auftraggeber anzufordern.
  9. Gutachten können in der Regel nur unparteiisch über Menschen erstellt werden, die nicht Patienten des Gutachters sind.
  10. Sie können, wenn dies sinnvoll oder wichtig erscheint, Angehörige oder andere wichtige Bezugspersonen zur Begutachtung mitbringen. Manchmal ist die Erhebung einer Fremdanamnese (Vorgeschichte über Angehörige) eine sinnvolle Ergänzung, die die Beurteilung Ihres Gesundheitszustandes erleichtert. In diesen Fällen beachten Sie aber bitte, dass in der Regel zunächst eine Untersuchung des Betroffenen alleine erfolgt und erst anschließend Angehörige ergänzend hinzugeholt werden können. Auch begleitende Angehörige müssen sich ausweisen.
  11. Begleitende Angehörige können bei der Befragung in eine unangenehme Situation dem Probanden gegenüber kommen. Wenn die Auskünfte der begleitenden Angehörigen beispielsweise wesentlich belegen, dass beispielsweise in einem Rentenverfahren doch eine erheblich bessere Leistungsfähigkeit vorliegt, als dies aus den Angaben des Probanden zu schließen wäre, geraten Angehörige später in die Position des Schuldigen. Auf einen anderen Aspekt weist Hausotter in einem Artikel des Neuo-aktuell 9/2006 hin. Zitat: „Die Anwesenheit einer dritten Person ist bei einer ärztlichen Untersuchung und ganz besonders bei der psychiatrischen Exploration kontraproduktiv und kann schwerwiegende Verfahrensmängel bei der Begutachtung befürchten lassen. Es bedarf bei der Anamneseerhebung und bei der Untersuchung eines erheblichen Maßes an Vertrauen, sowohl des Arztes hinsichtlich der Angaben des Probanden als auch des Probanden bezüglich der Objektivität des Untersuchers. Ist dies nicht vorhanden, so ist das Ergebnis der Begutachtung in Frage zu stellen. Für die psychiatrische Exploration gilt dies in ganz besonderem Maße, müssen hier doch fast stets sensible Bereiche der Biografie angesprochen werden, die selbst vor Familienangehörigen häufig verheimlicht werden, jedoch für die korrekte Bewertung von geltend gemachten Beschwerden, etwa von somatoformen, depressiven oder Angststörungen, von erheblicher Bedeutung sind. Wird auf der Anwesenheit eines Zeugen beharrt, für die sich keine ärztliche Notwendigkeit ergibt, so sollte die Begutachtung abgelehnt und der Gutachtensauftrag zurückgegeben werden.“.empfiehlt Hausotter. Andererseits ist nach einem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (L 5 KR 39/05) im Regelfall eine Vertrauensperson bei der Begutachtung zuzulassen. Allgemein wird in diesen Fällen den Sachverständigen empfohlen von der Möglichkeit, selbst Hilfspersonen hinzuzuziehen, Gebrauch machen, um bei ggf. auftretenden Konflikten auf einen Zeugen verweisen zu können. Dabei kann nur empfohlen werden, dass die Hilfsperson nach Möglichkeit ausführlich den gesamten Verlauf der Begutachtung handschriftlich mitschreibt und dieser Aufschrieb auch archiviert wird. Ggf. kann es in solchen Fällen erforderlich sein einen besonderen Termin zu vereinbaren, an dem eine entsprechende Besetzung der Praxis gesichert ist.
  12. Bei ausländischen Probanden ist oft ein Dolmetscher erforderlich. In der Regel wird ein solcher vom Gutachter nach Genehmigung des Auftraggebers (Kosten) angefordert. Ausnahmsweise können auch Angehörige übersetzen. Grundbedingung ist dabei immer, dass die Fragen des Untersuchers und die Antworten des Probanden möglichst exakt wörtlich übersetzt werden. Ein paralleles Gespräch zwischen Dolmetsche und Proband oder zusammenfassende Übersetzungen sind nicht sinnvoll und machen eine psychiatrische Begutachtung unmöglich. Wenn der Dolmetscher versucht, dem Gespräch eine Wendung nach eigenen Vorstellungen zu geben, kann es sein, dass eine Begutachtung mit diesem Dolmetscher nicht möglich ist. (Hausotter, MED SACH 98 (2002) No 5)
  13. Alle medizinischen Gutachten müssen unvoreingenommen und unparteiisch erstellt werden. Es gibt keine Vorgaben der Auftraggeber hinsichtlich des Ergebnisses eines Gutachtens. Wenn Sie selbst oder der Gutachter den Eindruck haben, dass diese Unvoreingenommenheit nicht gewährleistet ist, sollte dies umgehend kundgetan werden. Der Gutachtenauftrag wird dann unerledigt zurückgegeben.
  14. Auch Gutachter haben Schweigepflicht. Wenn Sie Angaben, die Sie bei der Begutachtung machen, nicht im Gutachten erwähnt wissen wollen, müssen Sie dies allerdings ausdrücklich sagen. Die ärztliche Schweigepflicht gegenüber dem Auftraggeber besteht ansonsten nicht. Sollten fehlende Angaben, oder der Forderung des Probanden nach Nichtbeachtung von Angaben im Gutachten allerdings einen wesentlich anderen Schluss zur Fragestellung des Gutachtens zur Folge haben, kann dies ebenfalls dazu führen, dass das Gutachten unerledigt zurückgegeben wird. Grundsätzlich haben Sie im Rahmen Ihrer Mitwirkungspflicht nach § 66 SGB I die Verpflichtung soweit erforderlich alle notwendigen Angaben bei der Untersuchung zu machen. Dies kann bei psychiatrischen Gutachten auch persönliche Fragen beinhalten. Angaben, durch die Sie oder ihnen nahe stehende Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung) sich die Gefahr zuziehen würden, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, können grundsätzlich verweigert werden.
  15. Auch Gutachter können sich irren, deshalb ist sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Gerichtsverfahren immer die Möglichkeit eines Widerspruchs, Klage oder der Revision gegeben. Nach meiner Erfahrung schreiben Gutachter nicht von einander ab. Jeder Gutachter ist verpflichtet, sich einen eigenen Eindruck über Ihren Gesundheitszustand zu machen.
  16. In der Regel hat sich der Proband den Gutachter nicht ausgesucht und er kommt auch nicht auf eigenen Wunsch zur psychiatrischen
    Untersuchung. Häufig ist ihm unverständlich, warum er psychiatrisch untersucht werden soll, wenn beispielsweise subjektiv körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen. Ängste, in und vor der Situation sind in diesem Rahmen verständlich.
  17. Eine gutachtliche Untersuchung ist nur möglich, wenn die Probanden pünktlich zur Untersuchung erscheinen, unter Zeitdruck kann in der Regel keine umfassende Begutachtung stattfinden.
  18. Jeder Gutachter wird alle für die Fragestellung relevanten und vorliegenden Unterlagen im Gutachten berücksichtigen. Er ist dennoch gehalten einen eigenen Befund zu erheben, selbst die Vorgeschichte zu erheben, und sich eine eigene Meinung zu bilden. Im Einzelfall kann er dabei auch begründet erheblich von der Auffassung der Behandler abweichen. Literatur siehe Leitlinie DGN

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur