Koordination

An der Koordination, die das Zusammenspiel der verschiedenen Leistungen des Bewegungsapparates abstimmt, sind weite Bereiche des Nervensystems beteiligt. Vielfältig sind daher die Störungsmöglichkeiten der Koordination, wobei neben Großhirn und peripheren Nerven vor allem das Kleinhirn, extrapyramidale, auch Rückenmarksbahnen und das Gleichgewichtsorgan beteiligt sind. Neugeborene, wenn man ihnen eine Rassel in die Hand gibt: Unabsichtlich schlagen sie sich damit auf den Kopf. Ihr unkoordiniertes Strampeln sieht aus wie das Zappeln eines auf den Rücken gedrehten Käfers. Der Grund: Sie haben ihre Extremitäten noch nicht unter Kontrolle. Erst Jahre später und ist bepackt mit der Hälfte der Neuronen des gesamten ZNS. Menschen, deren Kleinhirn durch einen Unfall, Schlaganfall oder Tumor geschädigt wurde, verlieren die Fähigkeit zur abgestimmten Bewegung: Ihre Sprache wird verschwommen, sie torkeln wie Betrunkene und sind kaum in der Lage zu gezielten Manövern, wie etwa einen Schlüssel ins Schloss zu stecken. Stimmen Vorhersage und Realität nicht überein, geht aber auch beim Gesunden etwas schief: Wenn wir z. B. gedacht haben, die Milch-Packung sei voll, stimmt die Vorhersage nicht weil sie leer ist, fliegt uns durch das schnelle, gezielte Bewegungsmusters die Packung mit der Milch um die Ohren. Für jede noch so kleine Bewegung müssen unzählige Muskeln aktiviert werden, deren Kraftentwicklung exakt aufeinander abzustimmen ist. So können wir z. B. eine Milch-Packung mit genau dem richtigen Maß an Muskelkraft hochheben, ohne etwas zu verschütten. Das gelingt aber nur, weil unser Kleinhirn eine exakte Vorhersage des Bewegungsmusters entwirft, noch bevor der motorische Befehl an die Muskulatur geht. ,,Das Kleinhirn ist unser eigenes ,Virtual Reality’-Zentrum, d a s Simulationen unserer Bewegungen entwirft“. (New Scientist 1999; 2185: 42-45). Es nimmt ein Zehntel unseres Schädelinnenraums ein. Das Kleinhirn trifft seine Vorhersage und gibt seine Kommandos an die Muskeln, bevor es eine sensorische Rückmeldung von der Hand erhält. Wäre es allein auf das sensorische Feedback angewiesen, könnten wir uns nämlich nur sehr langsam bewegen. Die sensorische Rückmeldung sorgt dann allerdings dafür, dass das antizipierte Bewegungsmodell laufend korrigiert und aktualisiert wird. Wahrscheinlich, entwirft das Kleinhirn seine Prognosen aus den zahlreichen Bewegungsmodulen, die während der körperlichen Entwicklung nach und nach erlernt wurden. Es besitzt ein jeweils aktuelles Bild der Körperposition und antizipiert die nächste Position mit Hilfe der vorhandenen Schablonen für jedes mögliche Bewegungsmuster. Diese Schablonen reichen vom Eislaufen oder Schwimmen bis zum Schreiben mit Stift oder zum Autofahren. Manche dieser Module, etwa das Ballspielen, können relativ flexibel auf verschiedene Bewegungsabläufe angewendet werden, während andere, wie Fahrradfahren, Schwimmen oder Skifahren, hockspezialisiert und nicht-überlappend sind. Möglicherweise lernt ein Kind deshalb solche spezifischen Fähigkeiten leichter als ein Erwachsener, weil es noch über genügend ,,leere“ Module verfügt. In wie weit allerdings das Kleinhirn ein Gedächtnis für Bewegungsabläufe hat ist weiter strittig. (Siehe Seidler et al. (Scinece p. 2043; und Hazeltine, Ivry ebenda)Nach dieser neuen Untersuchung sind Bewegungsschablonen nicht im Kleinhirn gespeichert, werden dort aber modifiziert bei der Ausführung) Einmal gefüllt, werden diese Spezialschablonen dann offenbar vor dem ,,überschreiben“ geschützt und nie wieder verlernt. Warum man sich selbst nicht kitzeln kann: Um Bewegung und Realität in Einklang zu bringen, braucht das Kleinhirn natürlich schon die sensorische Rückmeldung. Doch mit einem einfachen Feedback ist es nicht getan: Das Hirn muss zwischen Sensationen, die vom eigenen Körper ausgehen, und von außen kommenden unterscheiden können. ,,Wir dürfen unsere eigene Berührung ignorieren, aber nicht die fremde. Es könnte ja eine giftige Spinne sein, die unsere Beine hinaufkriecht“, Deshalb werden selbstgenerierte Sensationen schwächer wahrgenommen als externe Stimuli. Dies, zusammen mit der Fähigkeit, die Konsequenzen unserer Bewegungen zu antizipieren, erklärt, warum wir uns selbst nicht kitzeln können. Bei Schizophrenen ist diese Unterscheidungsfähigkeit des Gehirns offenbar gestört. Eigene Bewegungen und Gedanken werden nicht als selbstgeneriert erkannt, sondern fälschlich als externe Ereignisse interpretiert. Daher müssten Schizophrene sich selbst kitzeln können, was experimentell in dieser Arbeit tatsächlich so war. (Fortschr. Neurol. Psychiat. 68,2000) Die Prüfung der Koordination siehe Finger- Nase-Versuch. spinale Ataxie: infolge Schädigung sensibler Bahnen im Rückenmark gelangen Informationen über Stellung der Gelenke und Spannung der Muskulatur nicht mehr zur entsprechenden Zentrale des Gehirns. Wegen dieses Informationsmangels werden Bewegungen nicht mehr steuerbar.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur